Ein Milchkaffee

Ein Café. Frühling. Spätnachmittag. Die untergehende Sonne spiegelte sich sanft in der Fensterfläche und tauchte ihre Erscheinung in eine Mischung aus Gold und Gelb. Honig. Die Augen immer mal wieder leicht zusammengekniffen von den Strahlen der Sonne so dass er ihre tiefen braunen, oder waren es grüne, Augen kaum noch erkennen konnte, umspielte ein verschmitztes Grinsen ihren Mund. Hoffnung stieg in ihm auf. Sie lächelte. Der Witz war angekommen. Er gönnte sich einen Schluck von seinem Milchkaffee. Er trank nur wenig, da jedes Anheben der Tasse damit verbunden war, dass er ihr Gesicht für wenige Sekunden aus seinem Blickfeld verlor.

Das Gespräch entwickelte sich von selbst. Arbeit. Studium. Belanglosigkeiten. Er genoss es. Hörte zu. Erwiderte. Machte Witze. Immer wieder konnte er ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern. Ihr Lachen. Strahlend. Offen. Ehrlich. Der Kaffee war langsam kalt. Er hatte ihn total vergessen. Er erzählte von seinem Studium. Was er danach vorhatte. Erst einmal ins Ausland, das macht man heute ja so. Wohin? Er wusste es nicht. Er sagte: einfach raus. Neues kennen lernen. Sie lächelte. Sie kannte das Gefühl. Er dachte: oder aber hier bleiben. Bei ihr. In dieser Sekunde. Diesem Moment. Er sprach es nicht aus. Kaffee.

Die Sonne verschwand hinter den Häusern in seinem Rücken und gab die Fensterfront frei. Er blickte in ein Café voller Menschen. Geschäftspartner. Freunde. Pärchen. Ihr Gesicht verschwamm in der Unschärfe des Vordergrunds. Im Innenraum wechselte ein Stück Kuchen auf einer Gabel die Tischseiten. Anfangsstadium. Glück. Er löste seinen Blick und sah sie an. Sie hatte kurz ihr Handy rausgeholt. Bestimmt nur die Uhrzeit. Wollte sie los? Kurz ein Schluck Kaffee. Mittlerweile kalt. Er atmete tief durch und nahm all seinen Mut zusammen. Du sag mal, setzte er an. Im selben Moment hörte er sie sagen: Mein Freund hat gerade… Oh entschuldige du wolltest was sagen? Er wusste es. Trotzdem. Leere. Ach nichts, hörte er sich sagen. Hob seine Tasse und trank in Ruhe seinen Kaffee aus.

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The last time I commited suicide

Die Leere hatte seit Wochen Besitz von ihm ergriffen. Nur die Hülle, die paar Millimeter Zellstruktur, die seinen Körper vor der Außenwelt schützten, wurden noch bewirtschaftet. Der Rest seines Körpers hatte auf Notstrom zurück gefahren. Freude, Glück, Spannung oder Anstrengung – nichts mehr war ihm geblieben außer der Leere. Nicht einmal Schmerz drang noch durch die Wand aus Gefühlsabfällen die seinen Körper umgab.

Die Gefühle, die er normalerweise gehabt hätte, musste er aussperren. Er konnte sie nicht mehr ertragen. Sie bissen sich in seinen Synapsen fest und markierten jeden Gedanken als ihr Eigentum indem sie ihm ihre ganz eigene Note verpassten. Er konnte nicht einmal gegen sie ankämpfen. Das hatte er beim letzten Mal versucht. Die Narben dieser Schlacht trug er immer noch mit sich herum. Innerlich und äußerlich.

Er konnte also nur weiter machen wie es war. Ausschalten. Abschalten. Weiter machen. Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Irgendwie. Hoffte er. Irgendwann. Flehte er. Aber tief unten, so weit unter der Hülle, dass kein Angriff dort jemals hinkommen würde, wusste er das es zu spät war. Er wusste was er würde tun müssen. Reset. Auf Anfang. Die Treppe nicht hinunter gehen. Nein, er musste springen. Selbstmord auf Raten. Eine Weitere war fällig geworden.

Er hob den Kopf. Sah ihr in die Augen und begann zu sprechen.

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Durch diese Nacht

Die Ringe unter meinen Augen waren mittlerweile größer und runder als Kornkreise auf Farmen im mittleren Westen der USA und die Erinnerung an den letzten gesunden Schlaf hatte ich an irgendeiner der unzähligen Theken dieser gottverlassenen Stadt verloren. Alles was ich in diesem Moment fühlen konnte, waren die Federn meiner durchgelegenen Matratze. Der Rest war Leere. Stille. Static. Weißes Nichts. Die einzigen Gedanken die hin und wieder die alkoholgetränkten Synapsen zucken ließen, waren Bilder vergangener Tage. Vergilb und abgegriffen. Wie als würde ich sie durch eine Milchglasscheibe sehen, flogen sie durch die sonst karge Wüste meiner Erinnerung.

Vor meiner Haustür fuhr der erste Bus mit dröhnendem Motor an und verkündete mit einem tiefen Grummeln den Anbruch eines neuen Tages. Zum Glück waren die Rollläden unten. Verzweiflung machte sich breit. Ich wollte nicht das der neue Tag begann. Er würde nichts Neues bringen. Wie alle anderen vor ihm. Selbst die Sonne, die immer wieder versuchte durch die schmalen Spalten des Rollos in mein, einer Müllhalde gleichendes Zimmer, einzudringen, konnte kein Licht und keine Farben in meine Welt bringen. Meine Welt war kalt und grau. Leblos. In meinem Kopf war Nacht. Kälte. Dunkelheit. Einsamkeit. Zerrissen nur von Fragmenten eines ehemals blühenden Lebens. Vergangenheit. Sie umhüllte mich wie ein Mantel und ließ mich Zittern. Tag für Tag.

Ich hatte schon lange aufgegeben sie zu bekämpfen. Sie kam immer wieder. Egal was ich auch tat. Mühsam stütze ich mich auf meine Ellenbogen. Wollte dieser seit Jahren andauernden Nacht entkommen. Flucht. Aber ich konnte nicht. Ich war nicht nur zu schwach, nein, wohin auch sollte ich fliehen? Es gab keinen Platz, keinen Ort an dem ich gern wäre in diesem Moment. Nur eine Zeit. Vergangenheit. Da war sie wieder. Erschöpft ließ ich mich in meine verschwitze Matratze zurückfallen. Wartete. Hoffte. Hoffte das du, wo auch immer du warst, auf mich wartetest. Wartete darauf, dass meine Nacht vorbei ging. Das die Sonne endlich wieder für uns beide aufgehen würde. Ein letztes Mal – für immer.

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He don’t want the world

Die schwarzen Striche vor seinen Augen bestätigten was in seinen Gedanken schon lange Realität war. Die Zeit verging zu schnell. Sieben, acht, neun Monate. Er konnte es selbst nicht mehr genau sagen wie lange es nun wirklich her war. Die Zeit jedoch in der die Tage einzigartig waren, war schon länger her als die letzte Jahreszeit.

Partys, Cocktails, Bier und tschechische Billigzigaretten hatten seine wenigen Stunden die er pro Tag in einer Art Wachkoma verbrachte in ein gleichmäßiges, schummriges Dunkelgrau gezeichnet. Zwischenmenschliche Interaktion beschränkte sich auf die Dame an der Supermarktkasse, den Pizzaboten und den Kioskbesitzer. Alle anderen Kontakte pflegte er schon lange nicht mehr. Keiner verstand ihn. Seine Freunde hatten damals noch hin und wieder angerufen und gefragt wie es ihm geht und ihn probiert aufzubauen. Heute riefen auch sie nicht mehr an.

Der einzige konstante Begleiter war sein alter Walkman. Die Kassetten die er hörte hatte er in mühseliger Arbeit übertragen. Jedes der Lieder auf den fünf Kassetten die er immer bei sich trug, war über Wochen hin weg ausgesucht worden und spendeten ihm immer wieder diese kleinen drei Minuten Wunder und Freiheiten von denen die Toten Hosen sooft redeten. In diesen Minuten konnte er kurzzeitig die Depressionen, die Zigaretten im Aschenbecher und auch die zittrige, aufgerissene Hand vergessen die schon wieder nach der halb vollen Doppelkornflasche griff.

Als die Strahlen der Herbstsonne zum letzten Mal an diesem Tag probierten den grauen Schleier vor seinen Lidern zu durchbrechen, überkam ihn eine Gänsehaut und wie elektrisiert hob er seine zittrige Hand. Mit einer Wucht die er sich selbst schon lange nicht mehr zutraute, schmetterte er die halb volle Flasche gegen die Wand, stand auf und ging in sein Schlafzimmer. Seine Pillendose stand dort auf dem Nachttisch. Während er sich aufs Bett legte, umspielte seine Lippen zum ersten Mal seit Ewigkeiten ein kleines süffisantes Grinsen.  Würde man ihn vermissen. Er wusste es nicht. Aber er hatte auch nie die Welt gewollt. Sie ihn scheinbar auch nicht.

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Die Brücke

Nach dem Abbrennen der Kerzen verfiel das kühle Zimmer in Dunkelheit. Ihre dumpfen Schritte glitten über das Pakett, mit einem Ruck schloss sich hinter ihr die hölzerne Wohnungstür. Ein frischer Abendwind wehte ihr durchs strubbelige Haar. Die schwere Jacke wurde zugemacht, der Kragen an den Hals gepresst. Die selbstgedrehte Zigarette glimmte auf und der Rauch beruhigte ihre Sinne. Vorbei an den Lichtern der Fenster hinein in die Schwärze der Nacht. Scheinwerferlicht begleitete ihre Silouette, Sekunde für Sekunde wanderte ihr Schatten einen Schritt voraus, während die offenen Schnürsenkel immer und immer wieder in die dunklen, verdreckten Pfützen eintauchten.

Das Rascheln der Laubbäume verstimmte je näher sie dem Ende der pechschwarzen Allee kam. Als sie langsam auf der Brücke ankam, nahmen die Motorengeräusche zu. Die stark befahrene Brücke glich einer Spielweise für weiße und rote Lichter, die in der Dunkelheit der Nacht verschnörkelte Lichtspiele in die Luft prohezierten. Sie suchte sich die mittigste Stelle des gewaltigen Stahlmonsters und schnippste den angekokelten Filter herunter. Langsam umfasste sie die von Rost zerfressenen Geländer, die noch frischen Wunden an den Armen ziepten dabei leicht. Die Geländer fühlten sich rau und kalt an. Unter ihr erstreckte sich das monströse Loch einer undefinierbaren Tiefe in der Dunkelheit. Langsam ließen ihre Finger das Eisen los. Ihre Füße stellten sich auf den untersten Geländerrand, welcher rutschig und morsch wirkte. Sie atmete tief und langsam die frische Brise des anhaltenden Windes ein. Der seltsam ruhige Körper neigte sich langsam nach vorne und ihre Brust wurde gegen die Stahlpfosten gedrängt. Sie schloss die Augen, atmete langsam ein und hielt minutenlang inne.

War dies der Weg wie alles enden sollte? War sie gleich eine von vielen, die den Weg von der Brücke nie zurück geschafft hatten? Ihr Leben war ihr nie wichtig. Es war alles andere als schön. Doch immer und immer wieder rappelte sie sich erneut auf und besiegte ihren schwachen Verstand. Wollte sie zu den anderen auf dem Grund der Dunkelheit dazugehören? Was trieb sie nur hierher? Tränen kullerten ihre zerkratzten Wangen herunter. Das pechschwarze Haar kämte sie mit ihren Finger zurück. Ihre Pupillen fixierten die Sterne, um nicht noch mehr Tränen zu vergießen. Sie war dafür nicht bereit. Ihr Herz wollte leben. Sie wollte leben. Sie wollte immer Kinder haben, sie groß ziehen und ihnen beim Spielen vom Fenster aus winken.

Langsam krallte sie sich wieder am kalten Eisen fest. Ihre Lippen schmeckten salzig. Mit ihrem Ärmel wischte sie sich ihr Gesicht sauber. Vorsichtig trat sie von der unteren Geländehalterung herunter und hatte wieder festen Boden aus Stein unter sich. Die Lichter der Autos verformten sich wieder zu langen Schweifen und glitten durch die Dunkelheit der Nacht. Zum ersten Mal seit langer Zeit bekam sie ein Lächeln zustande. Sie wollte leben, einfach nur leben und nicht mehr feige handeln. Sie wollte ein neues Leben beginnen, so richtig bei Null anfangen. All diese Gedanken lösten bei Ihr pure Glückshormone aus. Sie wollte leben, sie wollte laufen. Einen Schritt vor den anderen und schon lief sie bis ans Brückenende herunter, weg vom Ort der Traurigkeit und des Todes. Freudestränen kullerten ihre Wangen entlang und verpufften in ihrem Windschatten.

Völlig energisch und voll von Lebensfreude rannte sie über die Straße. Plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen, als sich das grelle und laute Licht schlagartig näherte. Und dann wurde es dunkel.

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