Wir melden uns erst wenn wir etwas sind im Leben

Das Licht war schummrig. Ich stand im halbdunklen Licht der verrosteten und zum Teil ausgefallenen Straßenlaternen, unweit der alten Schnellstraße, einige Kilometer außerhalb unseres Dorfes. Nur selten wurde die Umgebung für wenige Sekunden erleuchtet. Immer dann, wenn ein Autofahrer die falsche Abzweigung genommen hatte und jetzt nicht die neue Autobahn, sondern die alte, in die Jahre gekommene Schnellstraße mit ihren ewig vielen Schlaglöchern, befahren musste. In diesen Sekunden konnte man erahnen warum wir früher oft hier gewesen waren. Schemenhaft sah man die Jahrzehnte alten Obstbäume, die sich über die Wiesen säumten und erst kurz vor dem alten Baggersee an einem Sandstrand endeten.

Wie viele Sommer hatten wir hier jedes Wochenende verbracht? Sind zusammen in den alten, klapprigen Fiat gestiegen – mit jeder Menge schlechtem Dosenbier, löchrigen Zelten und Ravioli – um für zwei Tage die Welt anzuhalten und uns selbst zu feiern. Wir waren gerade volljährig geworden und dachten, die Welt stünde uns offen. Nur uns. Nur wir. Zusammen. Für immer. Was sollten Studium, Arbeit und Familienplanung schon unserer Freundschaft entgegensetzen können? Wir stießen an – auf Eroberungen, die letzte Party oder das vorherige Bier. Genossen es einfach nur da zu sein. Im Hier. Im Jetzt. Schoben die Planung für das danach einfach immer weiter vor uns her.

Aber irgendwann war auch das Abi geschrieben und die Ferien neigten sich dem Ende. Unsere Studienpläne ließen uns schon bald in alle Himmelsrichtungen und die hintersten Winkel des Landes ziehen, um dort Dinge zu studieren deren Existenz den anderen nicht einmal bewusst war. Wir verabredeten uns ein letztes Mal im Spätsommer an dem von uns geliebten Strand. Mit Dosenbier, löchrigen Zelten und Ravioli. Wollten noch einmal die Zeit anhalten und zurückspulen. Die Clique feiern. Unsere Witze, Visionen und Erinnerungen konservieren. Die Zukunft vergessen. Die Angst verdrängen. Ein letztes Mal Leben – vor dem Leben.

Wir versprachen uns Anrufe, Nachrichten, Besuche, sogar Briefe und halfen uns gegenseitig beim Umzug. Am Anfang noch alle, bis dann der Letzte alleine mit seiner Familie den kleinen Laster packen musste und ohne Abschiedsaufgebot unser Dorf, unsere Heimat, unser Zuhause verließ. Unsere Versprechen, so gut und ehrenhaft sie gewesen sein mögen, so offensichtlich waren sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Der Kopf verdrängt halt, was er nicht jeden Tag sieht. Ob wir das wollen oder nicht. Aus besten Freunden wurden Freunde und aus Freunden wurden Bekannte. Man sah sich auf die vom Don und Daniel proklamierten obligatorischen „Vier Getränke im Jahr“ und versprach sich die gleichen hohlen Phrasen – bis man gar nicht mehr kam oder versprach.

Jetzt, Jahre später, frage mich was aus uns geworden ist. Wann haben wir damit angefangen Erfolg über Freundschaft zu stellen und unser Zuhause über die Heimat. Während ich an dem alten Strand stehe, zum X-ten Jahrestag unseres Abschieds, genau an dem Punkt der den Anfang vom Ende markiert, muss ich erkennen dass die Schuld keinen Einzigen von uns alleine trifft. Das Leben verschiebt Prioritäten und lässt die Dinge die man nicht täglich sieht schnell in Vergessenheit geraten. Lässt uns nur erst dann wieder zu Wort kommen, wenn wir etwas geschafft haben. Nur dann ist es oft zu spät. So wie jetzt. An unserem alten Strand. Hier, im schummrigen Licht ist zwar alles wie immer. Wie früher. Konserviert. Archiviert. Nur leider auch verstaubt und vergessen.

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Von Stiften und Herzen

Der Duft von dir ist schon lange aus dieser Stadt verflogen, wie die Zugvögel, die im Winter dahin fliegen, wo die Sonne länger scheint. Diese Stadt – sie trägt mittlerweile wieder grau. Schwer und wolkenverhangen verdeckt die angehende dunkle Jahreszeit ihr Antlitz in einer Tristesse aus Grautönen. Damals, als wir uns kennenlernten, hatte die Stadt sich gerade für den Sommer gerüstet. Oder für uns. Hatte die Tristesse des Winters gegen das Kaleidoskop des Frühlings getauscht und ließ für uns alles scheinbar endlos erscheinen.

Vom Frühling und der Sonne getragen, schrieben wir zaghaft die ersten Sätze unserer ganz eigenen Version dieser, sich immer wiederholenden Geschichte. Wir hatten Kitsch, Hollywood und Telenovelas zusammengeworfen und begannen aus diesem Konglomerat die Geschichte weiter zu schreiben. Du als Kurzgeschichte. Ich als Roman. Intensität traf auf Erkunden. Schnelllebigkeit gegen Innehalten. Du reduziertest auf ein Minimum, wo ich Seiten füllen wollte. Ohne es zu merken hatte ich mich einfach blind in dem Verderben der perfekten Illusion verrannt. So war es dann auch für die Leser der Geschichte nicht wirklich verwunderlich, als du auf einmal mit dem Twist „Es liegt an mir“ ein abruptes Ende fandest, wo ich noch im dritten Kapitel feststeckte.

Dann standst du wieder einmal vor mir. Unscheinbar. In deinem Lieblingskleid. Keck lächeltest du mich an und fragtest, ob ich nicht kurz Zeit hätte Kaffee zu trinken. Du warst gerade „in-between-meetings“ und konntest Ablenkung gebrauchen. Ablenkung. Das Wort rief verdammt viele gute Erinnerungen wach. Keine davon hat mit Kaffee zu tun. Aber ich willigte ein. Einerseits weil ich bei dir eh nie nein sagen konnte und andererseits haben Fußnoten noch keinem Text geschadet. Natürlich blieb es nicht bei einer Fußnote. Es wurde ein Exkurs. Ein verdammt langer Exkurs. Mein Kopf schrieb und schrieb. Selbst als du schon lange wieder in einem deiner Meetings, irgendwo in den verglasten Stockwerken über den Wolken verschwunden warst, schrieb ich noch.

Der wievielte Exkurs es war, konnte ich schon nicht mehr zählen. Auf jeden Fall waren sie zusammen weit größer als all das, was wir einmal hatten. Dennoch war da ein komisches Gefühl. Irgendwie war dieser Exkurs anders als die anderen. Sicherlich – ich schrieb über uns. Über dich. Über mich. Aber ich radierte immer öfter. War unzufrieden. Wurde wütend, weil die Geschichte nicht mehr passte wie ich sie wollte. Ich wollte Strandhochzeit und Kinderglück, doch schaffte es immer wieder nur alleine an der Theke daran zu sitzen. Die Realität hatte mich eingeholt und machte mir unmissverständlich klar, dass die Geschichte, egal wie weit wir sie zusammen geschrieben hätten, von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

Dieser Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest und begann zu keimen, zu blühen und sich auszubreiten. Mehr und mehr setzte er sich in meinem Kopf fest und ich schrieb immer weniger. Hörte damit auf, die Realität durch alkoholgetränkte Fantasien zu ersetzen. Schrieb irgendwann einfach nicht mehr über mich. Nicht mehr über dich. Nicht mal Exkurse. Und auch das Bisschen was ich in seltenen Stunden, zumeist am Abend, über uns schrieb, wurde weniger. Mir gingen die Ideen aus.

Bis ich eines Tages…

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