Warst du schon lang nicht mehr da

Noch bevor der Schuss ertönte, war ich bereits mit dem Klicken des Abzuges los gelaufen. Es ging schließlich um den Lauf meines Lebens. In Kilometern war er nicht zu messen. Manche würden ihn in Jahren messen. Andere in Weggefährten. Ich maß ihn in Zeit. Die Zeit die ich mit dir verbringen würde. Die wichtigste Zeit meines Lebens. Für den Rest meines Lebens. Am Anfang, noch vor dem Startschuss, hatte ich deine Hand fest in meiner. Zusammengehalten durch den Uhu und das Gaffatape unserer Gefühle standen wir beide am Anfang und warteten auf das Zeichen loslaufen zu können. Als der Schuss dann endlich ertönte, war ich schon 10 Schritte voraus.

In meiner Hand hielt ich bereits zu diesem Zeitpunkt nur noch die Reste des Tapes und einige getrocknete Brocken Kleber, die mir das Gefühl gaben dich immer noch fest umschlossen neben mir zu haben. Vergewissert hatte ich mich nie. Ich konnte nicht zurück blicken. Ich musste vorwärts. Ich hatte ein Ziel. Wir hatten ein Ziel. Das Leben zusammen. Der kleinste gemeinsame Nenner den man sich vorstellen kann und doch gleichzeitig die größte Unbekannte in unserer Gleichung, die ich stümperhaft versuchte mit Hilfe von Grundschulmathematik und dem kleinen 1mal1 zu lösen.

Ich rannte wie ein Besessener immer weiter. Mein Blick so fest auf den Boden vor mir gerichtet um nicht zu stolpern, um diesmal alles richtig zu machen, das ich nicht bemerkte, wie ich immer weiter in die falsche Richtung lief. Irgendwann unterwegs merkte ich wie sich langsam aber sicher die Überreste unserer Versprechen an meiner Hand lösten. Ich lief trotzdem immer weiter. Getragen von der Hoffnung, das ich mir den Verlust nur einbildete, redete ich mir Geschichten ein die auf abstruse Art und Weise mein Handeln rechtfertigten ohne dich und deine Handlungen auch nur ansatzweise in Betracht zu ziehen.

Als dann der letzten Riss Gaffatape in mein Gesicht klatschte, wurde auch mir bewusst was ich so lange probiert hatte zu leugnen. Ich traute mich aber immer noch nicht zurück zu blicken. Mein Schritte wurden langsamer und gleichzeitig die Hoffnung größer das du ja nur ein paar Schritte hinter mir warst und gleich wieder meine Hand halten würdest. Aber je mehr Zeit verging, umso unsicherer wurde ich, bis ich irgendwann verzweifelt stehen blieb und mich umdrehte. Alles was ich von dir zu diesem Zeitpunkt noch sehen konnte, war ein kleiner Punkt am Horizont der sich scheinbar nicht bewegte und auf mich wartete. Ich atmete tief durch und begann den Weg zurück zulaufen. Erst langsam. Dann immer schneller. Irgendwann war ich wieder so auf den Weg und weniger auf den Punkt am Horizont fixiert, das ich nicht bemerkte das er nicht größer wurde. Als ich dann endlich dort ankam, wo ich dich zuletzt am Horizont gesehen hatte, 10 Schritte vom Anfang entfernt, warst du schon lange nicht mehr da.

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A place for me and mom to hide

Der Himmel war Wolkenverhangen, nur vereinzelt kamen die Sonnenstrahlen hinter den dunklen, großen Bergen der regenschweren Wolken zum Vorschein und ließen den Sand vor seinen Augen funkeln wie die Sterne des Mobiles über seinem Bett. In seinem Gedanken war er auf einer Großbaustelle. Der Bagger in seiner Hand hob gerade den Keller für das Haus aus. Es sollte ein großes Haus werden. Schön und freundlich, mit viel Platz für sie und ihn. Er hatte ja nur sie. Die anderen auf dem Spielplatz waren immer mit einem er oder einer wie ihr da. Er aber immer nur mit ihr. Wobei sie meist auch nur an der Seite stand bzw. auf einer der Bänke sahs und Rauch spie wie ein Drache aus einer seiner Rittergeschichten.

Er hoffte das er, wenn er ihr ein großes, schönes Haus bauen könne, wo sie und er Zuflucht hatten, das sie dann etwas netter wäre. Sie war so oft gereizt. Er traute sich oft schon gar nicht mehr mit ihr zu reden. Besonders wenn es dunkel wurde und sie dieses, in der Nase brennende, Wasser trank. Dann wurde sie sehr gemein und schickte ihn in sein Zimmer. Er versteckte sich dann immer unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe. In der Sicherheit der Decke im matten Schein der kleinen Taschenlampe verschwand er dann an andere Ort. Meistens zu den Familien aus dem Fernsehen. Dort wo alle immer lachten, mit einander spielten, glücklich waren und in diesen schönen Häusern wohnten. Immer diese Häuser.

Er hatte den Keller ganz vergessen. Ein wenig Sand war schon wieder in das Loch gerieselt. Unbeirrt baggerte er weiter. Sein Blick suchte sie. Wie immer stand sie an der Seite, spie rauch und redete wieder ohne ihn zu beachten. Oft schon hatte er sich gefragt ob er wieder was falsches getan hatte in so einer Situation. Aber er traute sich nicht zu fragen. Sonst wurde sie bestimmt wieder böse und er musste in sein Zimmer. Das wollte er nicht, er wollte viel lieber von ihr umarmt werden. Aber das würde sie vermutlich eh nicht. Ohne was zu sagen baggerte er weiter. Er unterdrückte wie so oft die Tränen und zog die Nase hoch.

Sie spieh immer noch rauch und schwang die Arme wie ein Greifvogel. Er baggerte immer weiter. Aber kam nicht tiefer. Immer wieder rutschte der Sand von den Seiten zurück. Egal wie schnell er baggerte, er kam nicht hinterher. Je schneller er wurde um so mehr Sand rutschte zurück. Die Bewegungen, immer verzweifelter und hektischer, wurden immer unkoordinierter. Kurz vor einem Heulkrampf kam sie auf einmal wieder und nahm ihn an der Hand und zog ihn, wieder einmal böse über ihn oder den anderen, von der Baustelle weg. Verzweifelt sah er dem Sand hinterher, der langsam das Loch für den Keller wieder füllte. Morgen würde er weiter machen. Bis er ein Versteck hatte. Für sie. Für ihn. Zum Glücklich sein.

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In der Leere eines schwarzen Lochs

Wie oft schon hatte ich so ein Gesicht gesehen. Es war nicht Schmerz verzehrt. Es trug keine Trauer. Kein Hass. Oder eines der tausend anderen Gefühle die in so einer Situation angebracht wären. Es blickte einfach leer. Ausdruckslos. Teilnahmslos und völlig versteinert. Die Muskeln die normalerweise nur die kleinste Regung hervorbringen sollten hingen schlaff unter der fahlen, bleichen Haut und ließen erste Falten auf dem sonst so makellosen Gesicht erscheinen. Ich musste weg sehen.

Ich konnten es nicht ertragen. Diesen Blick der durch mich hindurch sieht. Die Wand hinter mir fixiert. Möglicherweise das Bild welches immer noch dort hängt, da ich es nicht abnehmen konnte. Oder Die Stadt hinter der Wand. Die Stadt die nichts weiß von alle dem was passiert ist. Die Stadt die einfach weiter lebt. Die Stadt die schon lange vorher hier war und auch noch lange danach bleiben wird. Die Stadt die schon vergessen hat – weil sie nie wahrnahm. Ich schlucke.

Ich blicke wieder in das Gesicht. Die Augen sind starr. Sie bewegen sich nicht. Fixieren nicht. Suchen nicht. Müssen sie auch nicht. Es gibt nichts mehr zu finden. Ich versuche in ihnen etwas zu erkennen. Einen Funken Leben. Ein Stück Hoffnung. Aber dort war nichts. Nur ein schwarzes Loch in dem alle Gefühle eintauchten und eine Leere hinterließen auf die Michael Ende stolz gewesen wäre. Ich verzweifle.

Was mochte wohl in dem Kopf vorgehen. Leere? Gedankensturm? Chaos? Ordnung? Schizophrenie? Man konnte es nicht heraus lesen. Dieser Blick war schlimmer als Hass. Egalität in seiner reinsten Form. Alles was gewesen war wurde mit diesem Blick einfach ausradiert. Erinnerungen? Nicht im Ansatz. Aber was würden sie schon bringen? Was bringt der letzte Brotkrumen im überfüllten Rettungsboot? Verzweiflung. Hass. Wut. All das suchte ich vergebens.

Man sagte es wird schon wieder besser werden. Es wird wieder Leben in die Augen kommen. Die Mundwinkel würden auch wieder in Richtung Himmel deuten und die strahlenden Zähne zeigen. Wann? Das wusste niemand. Nicht einmal ich. Zu oft schon hatte ich in letzter Zeit in dieses Gesicht gesehen. Ich ertrug es nicht mehr. Wollte nicht mehr länger in dieses Gesicht sehen. Entweder ging es. Oder ich. Aber so war es nicht mehr auszuhalten. Mühsam blinzelte ich die Tränen aus meinen Augen und schlug mit der bloßen Faust den Spiegel vor mir in tausend Teile.

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Vom Durchqueren einer Sackgasse

Im Anbetracht der Tatsache das er nun wieder alleine die Wege seines Lebens bewandern musste, war es auch nicht verwunderlich dass er sich seit langer Zeit mal wieder gemeldet hatte um die Nacht mit zu viel Billigschnaps und Zigarillos von Aldi, in einem Wohnzimmer eines kleinen, verschlafenen Vororts seiner Heimatstadt zu verbringen. Vergessen ist so schwer wenn man sich nicht erinnern will. Die Gesprächsthemen sprangen von lustigen Anekdoten aus der gemeinsamen Unizeit hin zum aktuellen Tagesgeschehen und wieder zurück. Ablenkung aus dem Lehrbuch. Bravurös mit der Unterstützung verschiedenster russischer Präsidenten gemeistert.

Der wahre Grund des Besuches, die dunklen Wolken die hinter seinen Augen hingen, wurde lange verschwiegen. Erst als die UDSSR gefallen und die Anarchie von Übersee her eingeläutet wurde, fing er an die Wolken zu lichten. Erst langsam, wie während der Ruhe vor dem Sturm, steigerte sich die Anzahl der Tropfen zu einem Monsun aus Gefühlen, Verzweiflung, Eingeständnissen von Fehlern und Hasstriaden. Erkenntnis im Spießertum. Die letzte Bastion der alteingesessenen Werte der Gesellschaft seines Heimatlandes verhalf ihm zum Befreiungsschlag gegen seine Gefühle. Die perfekte Paradoxie. Waren doch dies die Werte und Eigenschaften die ihn zur Weißglut brachten.

Die Gedanken und Worte die er in seinem Wahn ausgespien hatte hingen schwer in den Rauchschwaden der abgebrannten Glut. Der Berg aus Asche, Dreck und kaltem Rauch spiegelte das Hier und Jetzt seiner Seele perfekt in der Mattheit des kalten Stahls auf dem Wohnzimmertisch. Abgebrannt und ausgelöscht klebten die Reste der letzten Jahre wie verbranntes Plastik an ihm und machten es unmöglich den Schmerz über die Situation in Worte zu fassen. Hätte er seine Gedanken fassen können, hätte er verarbeiten könnten, aber alles was er hervor gebracht hatte, waren Worthülsen des Unverständnisses über seine eigenen Handlungen.

Ein Unverständnis, welches im Keim die Wahrheit der absoluten Erkenntnis über die eigenen Fehler spiegelte, verwischte das Bild der Realität zu einem Gemälde von Van Gogh, welches er doch nicht verstehen konnte. Die Gedanken drehten sich gegen den Uhrzeigersinn zu einer scheinbar besseren Zeit zurück. Die Augenblicke in denen er Situationen und Momente als perfekt empfunden hatte vermengten sich zu einem ewigen Schwarz/Weiß Film aus einer längst vergangenen Generation. Ohne Ton und leicht vergilbt zogen die Bilder an seinem inneren Auge vorbei. Regungslos, ohne die Unterstützung berühmter Namen, begann er im Abspann die Realität wahrzunehmen.

Die Jalousien des Reihenhauses begannen sich unter dem ersten Sonnenlicht des anbrechenden Tages zu heben und brachten die Farbe zurück in seine noch dumpfe Lethargie der letzten Stunden. Die Sonne und der kühle Morgen als Antagonisten einer schnapsgeschwängerten Nacht brachten ihn ironischerweise zum Lächeln. Es wurde Zeit zu gehen, und obwohl er in der vergangenen Nacht nichts Vergessen und sich doch vielmehr erinnert hatte, lief er befreit mit dem Licht der aufgehenden Sonne im Rücken und der Erkenntnis, dass nicht jeder Abschied zwangsweise auch ein Wiedersehen bedeutet, hinaus in das Licht eines neuen morgens.

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Spuren im Schnee

Einen Fuß locker aus das Knie des anderen Bein’s gelegt, sitze ich schweigend in der Nacht. Die Kopfhörer über meiner Mütze wechseln sich damit ab, mit dem Soundtrack von Ziemlich beste Freunde und meiner MiesePrieseSongs-Playlist die kalte Nacht zu durchbrechen. Die Luft vor meinen Augen kristallisiert sich mit jedem Atemzug. Wie ein Kaleidoskop bricht sich das Licht des Mondes in meinem Atem und taucht den Boden vor mir in ein Lichtspektakel wie in 1001 Nacht. Um mich herum fällt kleiner, weicher Pulverschnee. Nicht viel. Gerade genug um im Licht des Mondes und der Straßenlaternen zu tanzen. Der Platz vor mir ist weiß. Keine Spuren im Schnee. Kein Mensch hat bisher die Schneefläche betreten. Es hat etwas erhabenes in diesen Momenten anwesend zu sein. Zu sehen wie schnell die Natur etwas verschwinden lassen kann. Vergänglichkeit im Zeitraffer. Wo vor zehn Minuten noch ein Platz war ist jetzt ein kahle, kalte, Zentimeter hohe Decke aus feinsten Eiskristallen.

Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue in den Himmel. Die hellsten Sterne funkeln selbst im Licht der Laternen noch in diesem von Wolken zerrissenen Stadthimmel. Die Eiskristalle des Schnees bleiben in meinen Augenlidern hängen. Die Zigarette in meiner Hand brennt immer weiter ab. Längst vergessen. Ich konzentriere mich eh nicht mehr auf meine Gedanken. Sie fliegen wie Eintagsfliegen durch meinen Kopf. Alle wollen das ich sie wahr nehme. Sie verbinde. Sie mir einverleibe. Mich ihnen zuwende. Sie zu Ende denke. Ich kann momentan aber eh keinen klaren Gedanken fassen. Zu verwirrend ist mein Leben in diesen Tagen. Das einzige was immer wieder aufblitzt, wenn ich blinzele sind die Bilder. Bilder von ihr. Bilder von der Heimat. Bilder meiner Geschichte. Sie bleiben auf der Netzhaut hängen und projizieren sich in die Schneeflocken.

Während Maeckes mich fragt ob ich noch weiß wie es war, sehe ich sie lachend vor mir sitzen. In dem kleinen Straßencafe. Direkt um die Ecke ihrer Wohnung. In der Heimat. Ich blinzele. Der verschneite Garten meiner Eltern flackert in den Schneeflocken über meinen Augen. Grinsend und ganz mit Schnee bedeckt kommt unser Hund neben der Katze aus der Hecke und schüttelt sich. Blinzeln. Jahre später. Der gleiche Garten. Neuer Schnee. Diesmal kommt nur noch unsere Katze aus der Hecke. Vergänglichkeit der Natur. Sie wiederholt sich immer wieder in unserem Leben. Auf eine andere Art und Weise. Blinzeln. Ich sehe mich selbst. Neben ihr. Auf derselben Bank. Es ist Spätsommer. Wir lachen wieder. Erstaunlich wie oft wir eigentlich gelacht haben. Blinzeln. Der Nachthimmel über mir. Ich muss meine Augen schließen. Die Zigarette ist längst aus. Ich werfe sie in den Mülleimer neben mir und stehe auf.

Wo vorher noch eine unberührte Schneedecke war, werden für kurze Zeit meine Fußspuren zu sehen sein. Für einen kurzen Moment verschmelzen meine Schuhe mit dem Schnee unter ihnen. Formen ihn. Verändern ihn. Dann gehen sie weiter und lassen ihn zurück. Verändert. Verformt. Aber nicht vergessen. Ein Teil des Schnees bleibt an ihnen kleben und verändert ihre Farbe. Für immer. Ich atme ein letztes Mal durch und setzte langsam und behutsam einen Schritt vor den anderen. Ich möchte soviel wie möglich von der wunderschönen Schneedecke erhalten. kultivieren. Damit ein anderer dieses Wunderwerk bestaunen kann. Meine Spuren im Schnee werden schon bald im stärker gewordenen Schneefall verblassen. Aber trotzdem werden sie noch da sein. Unter der Obersten Schicht. Für immer. Wie der Schnee an meinen Schuhen. Hoffe ich.

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That old song – Eine Disconacht

Hinter ihm liegt die Hitze. Vor ihm die Kälte. Der einzige Schutz bis zu diesem Zeitpunkt war eine schwere Eisentür in deren Rahmen er nun stand. Bevor er sich nach Alaska traute, zog er seinen Schal fester und richtete seine Mütze. Mit dem Zuschlagen der Tür stellte er auch den Kragen seines Mantel hoch. Es mussten mittlerweile Minusgrade sein. Seine Schritte sind ungelenk. Tappsig. Es war mal wieder ein Bier zuviel gewesen. Alle anderen hatten schon lange den Weg nach Hause oder in irgendein Bett angetreten. Nur er war mal wieder auf der Tanzfläche versackt. Neben der Frau seiner Träume. Zumindest für diesen Abend. Der Nebel seines Atems war so undurchsichtig wie der Nebel durch den er sie zum ersten mal gesehen hatte. Sie hatte mit drei Freundin zusammen getanzt. Nur zwei Meter neben ihm.

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