That old song – Eine Disconacht

Hinter ihm liegt die Hitze. Vor ihm die Kälte. Der einzige Schutz bis zu diesem Zeitpunkt war eine schwere Eisentür in deren Rahmen er nun stand. Bevor er sich nach Alaska traute, zog er seinen Schal fester und richtete seine Mütze. Mit dem Zuschlagen der Tür stellte er auch den Kragen seines Mantel hoch. Es mussten mittlerweile Minusgrade sein. Seine Schritte sind ungelenk. Tappsig. Es war mal wieder ein Bier zuviel gewesen. Alle anderen hatten schon lange den Weg nach Hause oder in irgendein Bett angetreten. Nur er war mal wieder auf der Tanzfläche versackt. Neben der Frau seiner Träume. Zumindest für diesen Abend. Der Nebel seines Atems war so undurchsichtig wie der Nebel durch den er sie zum ersten mal gesehen hatte. Sie hatte mit drei Freundin zusammen getanzt. Nur zwei Meter neben ihm.

Nach ungefähr drei Lieder und einem stumpfen Bäumchen-Wechsel-Dich Spiel mit seinen besten Freunden, hatte dann auch endlich den Platz neben ihr ergattern können. Nur um sie am Ende des Liedes zur Theke gehen zu sehen. Frustriert und sauer auf sich selbst mal wieder zu lange gewartet zu haben, wollte er schon anfangen Pogo zu Justin Bieber zu tanzen, als sie sich doch noch mal umdrehte. Und ihm genau in die Augen sah. Eine Sekunde oder zwei. Aber die reichten aus um ihn komplett aus der Fassung zu bringen. Bevor er sein Gesicht zu einem freundlichen Lächeln formen konnte, hatte sie sich schon wieder mit einem Zwinkern abgewendet. Hinterher? Alle seine Kumpels argumentierten auf ihn ein. Die will dich. Hin da. Junge, alter – Denk nach! Kauf ihr nen Drink. Fi…! Also nahm er seinen Mut zusammen und bahnte sich den Weg zur Bar.

Endlich waren sie auf der Tanzfläche angekommen. Das ihre beste Freundin auch wirklich jeden in diesem Laden kennen musste. Hier ein „Hallo“, da ein „ach, du auch hier – wie gehts?“ Sie hatten schon mindestens fünf gute Lieder verpasst. Die Wahrscheinlichkeit, dass das nächste Lied schlecht werden würde, war verdammt hoch. Aber immerhin war das aktuelle super und tanzbar. Völlig mit sich und der Situation zufrieden sprang sie zu den Orsons durch den Club. Mit ihren Gedanken bei Banksy und der Musik drehte sie sich um ihre eigene Achse und sah ihn kurz bevor der Nebelwerfer ihn wieder verdeckte. Bevor der Nebel sich wieder gelichtet hatte wollten ihre Freundin was trinken. Super! Der erste hübsche Typ des Abends und sie musste gehen. Kurz vor der Bar drehte sie sich nochmal um und suchte seine Augen.

Dort fand er nur drei Pärchen und fünf Kerle. Seine Angebetete war verschwunden. Verdammt. Zu lange gewartet. Wo konnte sie noch sein? Im Klobereich wurde immer geraucht. Pinkeln musste er sowieso. Erleichtert und eine Zigarette später ging er weider zurück. Immer noch keine Spur von ihr. Zurück auf der Tanzfläche begann er einfach für sich alleine zutanzen, da seine Kumpels, wohl in positiver Erwartung für ihn, auch schon die Biege gemacht hatten. In Gedanken tanzte sie immer noch neben ihm. Selbst als zwei Stunden später das Licht anging und der DJ Red Hot Chilli Peppers spielte, war er noch immer von ihr eingenommen.

Auf dem Weg zur Dönerbude, im Kopf noch immer die Bässe der Swedish House Mafia und im Mund der fahle Geschmack von Bier, Rum und Kippen, hatte er auf einmal ein Déjà vu. Durch den Nebel seines Atems sah er sie. Seine Traumfrau. Schon wieder. Sofort suchte er hastig in seinem Taschen nach einem Kaugummi. Aprikose-Mango. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Angewidert vom Geschmack presste er langsam seine Zähne aneinander. Krachen. Panisch taste er seinen Kiefer ab. War er gebrochen? Waren alle Zähne noch dran? Entwarnung, es war doch nur der Kaugummi der von der Kälte steinhart geworden war. Der Nebel legte sich, seine Sicht wurde klarer, seine Augen begannen die Welt wieder normal auszurichten und er konnte sie zum ersten Mal richtig sehen. Sie und den Typen der sie gerade umarmte.

Seine Stimmung fiehl von „Gold beim olympischen Zehnkampf“ im Sturzflug direkt bis auf die Stufe „Wo ist mein verdammtes Rasiermesser?“ Ohrfeige um Ohrfeige haute er sich innerlich um die Ohren. Er wusste nicht auf wen er mehr Hass projizieren sollte. Sich oder den gut gebauten Typen in ihren Armen. Wütend ging er an ihr vorbei. Würdigte sie nicht eines Blickes und rempelte den Typen an ohne sich zu entschuldigen. „Alter pass doch auf!“ Seine Hasstriade ließ er in sich. Es brachte ja eh nichts. Er hatte eine schlechte Hand gespielt und musste nun das Feld räumen. Er öffnete die Tür und der warme Geruch von frischem Hänchenfleisch strömte in seine Nase. Ohne sich umzudrehen ließ er die Tür ins Schloss fallen und bestelle einen Lachmadchun mit extra Tzatziki.

Während er mit immer größer werdendem Appetit auf seine Herrlichkeit einer Nachtspeise wartete, löste sich die Umarmung vor der Tür. Ohne das er es mitbekam. Seine Angebetete schaute dem Mann in ihren Armen freundlich an. „Seit wann bist du denn wieder in der Stadt? Ich dachte du bist noch bis nächsten Monat in Asien? Aber richtig schön das wir uns hier getroffen haben Cousin! Wir sollten öfters zusammen feiern gehen!“ „Ich hatte noch Resturlaub und dachte, ach dann fährst schon eher in die Heimat, ich muss ja auch bald wieder studieren und da wollte ich nochmal eben alle alten Freunde besuchen.“ „Ja, sehr schön.“

Er hatte mittlerweile seinen Lachmadchun bekommen und war mitten im essen, als er sie alleine am Fenster vorbei gehen sah. Halb offener Mund, ein Salatblatt heraushängend musste er hinreißend aussehen. Anders konnte er sich das Lächeln nicht erklären, welches sich wie von selbst in dem Moment auf ihr Gesicht zauberte, als sie durch die beschlagene Scheibe sein Gesicht sah. Völlig perplex bemühte er sich runterzuschlucken und nach draußen zu gelangen. Ein umgeworfener Barhocker und zwei Soßenflecke später stand er mit einem halben Lahmachun in der Hand vor ihr, grinste schief und fragte „Hey, willst ma beißen?“

Wieder einmal einer seiner weniger intelligenten Sprüche. Wieso konnte er nie vernünftig mit Frauen reden. Innerlich machte er sich schon auf eine Abfuhr bereit. Wie so oft. Aber zu seinem Erstaunen sagte sie „Klar, aber nur wenn da ordentlich Knoblauch … wobei ich riech schon.“ und riss ihm sein Heiligtum des Abends aus der Hand. Er hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Völlig neben sich stehend meinte er: „Das macht dann 4,00€!“ Schmatzend und mit Soße am Kinn flogen ihm fast die Zwiebeln um die Ohren als sie nur mit einem „Oohtayy, geh kla!“ antwortete.

Die nächsten Minuten verbrachten beide in einem erhabenen Schmatzen. Mit halb vollem Mund fragte sie ihn „Was machma jetz?!“ Verdammt. Simple Frage. Komplexe Antwortproblematik. Er wollte gerade vorschlagen irgendwo ins warme zu gehen, da sprach sie schon weiter. „Ich kenn da so eine Bank, ganz in der Nähe in einem Park. Wir gucken jetzt einfach in die Sterne und tun nichts.“ „Ist das nicht zu kalt? Also für dich jetzt?“ „Ich hab zwei Jacken an. Außerdem wirst du mich ja wohl wärmen wenn ich anfange so zu zittern wie du!“ Erst da bemerkte er das seine Hände schon lange nicht mehr ruhig waren, sondern DJ spielten. Das lag aber nicht an der Kälte. Aber das verschwieg er lieber… „Ähm, klar! Also, wo soll’s lang gehen. Ich folge dir.“

Nach ungefähr 10 Minuten erreichten sie die Bank. Schweigend schauten sie in die Sterne und obwohl keiner etwas sagte, wussten beide das sie unbewusst das richtige getan hatten. Während sie sich irgendwann in seine Arme kuschelte, begann er damit ihr die einzelnen Sternbilder zu erklären. Kurz bevor ihr die Augen zufielen und die Sonne bereits langsam am Himmel erschien, hatte er endlich den Mut und fragte sie nach ihrer Nummer, da er sie gerne wiedersehen würde. Sie atmete tief ein, lächelte und begann zu sprechen.

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