Spurensuche

Ich zeichne auf den Wegen eine dünne Spur aus Sand,
das Zeugnis meines Lebens ein Rinnsal aus der Hand,
Das Bild eines Charakters und der Steine die er sah,
ich lief Meile um Meile ohne zu wissen wo ich war,
Die Worte die mich prägten, die Menschen die ich traf,
Das Glashaus wo ich wohnte, die Steine die ich warf,
das was ich halten wollte und das was ich behielt,
aus vielen kleinen Steinen wird irgendwann ein Mosaik.

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Die Zoohandlung

Ben war nicht zum ersten Mal in seinem Leben in einer Zoohandlung. Früher war er öfter hier gewesen, nie ganz aus freien Stücken, aber es gibt Menschen, von denen wohl manche zu seinem erweiterten Freundeskreis zu zählen sind, die halten das Schlendern durch eine Zoohandlung für eine legitimierte und unterhaltsame Tätigkeit um Zeit totzuschlagen.

[H]eute war er zum ersten mal mit einer ernsthaften Kaufabsicht in die Zoohandlung gekommen und studierte daher aufmerksam das Sortiment. Die Schildkröten hatten es ihm angetan und es gab hier sehr viele von ihnen kleine, große, zu Lande und zu Wasser doch sie sprengten sein Budget und waren auch so gänzlich ungeeignet für den betreffenden Zweck.

Was Ben suchte war ein Geschenk, ein Kombigeschenk, und dieses Geschenk war mit Anforderungen verbunden, die nicht von jedem Tier so ohne weiteres zu erfüllen waren. Die primäre Aufgabe sollte sein das seine Freundin sich darüber freuen können sollte, da es ihr Geburtstagsgeschenk werden sollte. Doch wäre dies die einzige Anforderung gewesen so hätte er sich dafür nicht schon seit einer geschlagenen Stunde in diesem nach Fischfutter und Streu riechendem Etablissement aufgehalten. Natürlich sollte das Ganze nicht zu teuer sein, er war schließlich lediglich Student, aber erstens liegt in Liebesdingen die finanzielle Schmerzgrenze von Natur aus etwas höher und Zweitens würde es für eine lange Zeit oder vielleicht sogar für immer das Letzte sein was er ihr schenken würde.

Aber genau hier lag das Problem er wollte ihr nicht nur ein formidables Geburtstagsgeschenk machen, sondern ihr eben auch etwas schenken was ihr über die bald darauf folgende Trennung hinweghelfen sollte. Daher hatte er sich für ein Tier entschieden. Es sollte eher klein als groß sein, da auch sie keine Villa bewohnte und es müsste niedlich sein. Man sollte damit reden können, so das man sich einbilden kann es würde zuhören und es dürfte nicht zu viel Arbeit verursachen. Die Lebenszeit sollte nicht mehr als drei Monate betragen, da es sie sonst zu lange an ihn erinnern könnte, aber sie dürfte nicht wissen das es schon so bald stirbt.

Er ging zum Mädchen hinter der Theke und lächelte sie an „Ich suche nach einem sehr alten Zwerghamster“; „Einem Roborowski Zwerghamster oder einem Dsungarischen Zwerghamster?“ fragte sie lächelnd zurück. „Welcher stirbt denn schneller?“ Ihr Lächeln erstarb, in routinierter Verkäuferinnen Stimmer fuhr sie fort: „Also ein Roborowski Zwerghamster wird eineinhalb bis drei Jahre alt während ein Dsungarischer Zwerghamster eineinhalb bis zweieinhalb Jahre alt wird“. „Und sie haben ein paar ältere Hamster da?“ fragte er bemüht freundlich nachdem sie die Erwähnung nach dem Haltbarkeitsdatum von Zwerghamstern doch sichtlich in die Opposition gebracht hatte.

Ich hätte einen fast dreijährigen Roborowski den keiner mehr kaufen will weil er schon so alt ist und einen eineinhalbjährigen Dsungarischen“ antwortete sie mit einem süffisanten Lächeln durch das er sich im ersten Moment irgendwie ertappt fühlte.

Ganz der Mann der sich schon wieder fast in der Vorhölle des freien und glücklichen Singledaseins wähnte versuchte er natürlich gönnerhaft die junge Verkäuferin für sich einzunehmen. „Ich nehme den Roborowski, ich möchte ihm noch wenigstens drei gute Monate schenken. Die hat sich der alte Junge doch verdient.“ So erwarb Ben an diesem Tag einen Roborowski Zwerghamster und die Zuneigung einer jungen Frau mit der er sich bald, in zwei Wochen, wenn er sich von seinen selbstgeschmiedeten Fesseln befreit hätte, wiedertreffen wollte.

Das Geschenkt war ein voller Erfolg und seine Freundin baute schon innerhalb der ersten Woche eine intensive Beziehung zu ihrem Zwerghamster auf, doch war sein Herz leider schwächer gewesen als er es sich von diesem tapferen kleinen Roborowski Zwerghamster erhofft hatte. Er verstarb nach zwei Wochen und statt Milchkaffe trinkend mit der jungen Verkäuferin verbrachte er die nächsten Wochen damit seine Freundin seiner Liebe zu versichern und über einen Verlust hinwegzutrösten, der doch sie hätte trösten sollen wenn er seine Zelte längst abgebrochen hätte.

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Ein Milchkaffee

Ein Café. Frühling. Spätnachmittag. Die untergehende Sonne spiegelte sich sanft in der Fensterfläche und tauchte ihre Erscheinung in eine Mischung aus Gold und Gelb. Honig. Die Augen immer mal wieder leicht zusammengekniffen von den Strahlen der Sonne so dass er ihre tiefen braunen, oder waren es grüne, Augen kaum noch erkennen konnte, umspielte ein verschmitztes Grinsen ihren Mund. Hoffnung stieg in ihm auf. Sie lächelte. Der Witz war angekommen. Er gönnte sich einen Schluck von seinem Milchkaffee. Er trank nur wenig, da jedes Anheben der Tasse damit verbunden war, dass er ihr Gesicht für wenige Sekunden aus seinem Blickfeld verlor.

Das Gespräch entwickelte sich von selbst. Arbeit. Studium. Belanglosigkeiten. Er genoss es. Hörte zu. Erwiderte. Machte Witze. Immer wieder konnte er ein Lächeln auf ihre Lippen zaubern. Ihr Lachen. Strahlend. Offen. Ehrlich. Der Kaffee war langsam kalt. Er hatte ihn total vergessen. Er erzählte von seinem Studium. Was er danach vorhatte. Erst einmal ins Ausland, das macht man heute ja so. Wohin? Er wusste es nicht. Er sagte: einfach raus. Neues kennen lernen. Sie lächelte. Sie kannte das Gefühl. Er dachte: oder aber hier bleiben. Bei ihr. In dieser Sekunde. Diesem Moment. Er sprach es nicht aus. Kaffee.

Die Sonne verschwand hinter den Häusern in seinem Rücken und gab die Fensterfront frei. Er blickte in ein Café voller Menschen. Geschäftspartner. Freunde. Pärchen. Ihr Gesicht verschwamm in der Unschärfe des Vordergrunds. Im Innenraum wechselte ein Stück Kuchen auf einer Gabel die Tischseiten. Anfangsstadium. Glück. Er löste seinen Blick und sah sie an. Sie hatte kurz ihr Handy rausgeholt. Bestimmt nur die Uhrzeit. Wollte sie los? Kurz ein Schluck Kaffee. Mittlerweile kalt. Er atmete tief durch und nahm all seinen Mut zusammen. Du sag mal, setzte er an. Im selben Moment hörte er sie sagen: Mein Freund hat gerade… Oh entschuldige du wolltest was sagen? Er wusste es. Trotzdem. Leere. Ach nichts, hörte er sich sagen. Hob seine Tasse und trank in Ruhe seinen Kaffee aus.

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The last time I commited suicide

Die Leere hatte seit Wochen Besitz von ihm ergriffen. Nur die Hülle, die paar Millimeter Zellstruktur, die seinen Körper vor der Außenwelt schützten, wurden noch bewirtschaftet. Der Rest seines Körpers hatte auf Notstrom zurück gefahren. Freude, Glück, Spannung oder Anstrengung – nichts mehr war ihm geblieben außer der Leere. Nicht einmal Schmerz drang noch durch die Wand aus Gefühlsabfällen die seinen Körper umgab.

Die Gefühle, die er normalerweise gehabt hätte, musste er aussperren. Er konnte sie nicht mehr ertragen. Sie bissen sich in seinen Synapsen fest und markierten jeden Gedanken als ihr Eigentum indem sie ihm ihre ganz eigene Note verpassten. Er konnte nicht einmal gegen sie ankämpfen. Das hatte er beim letzten Mal versucht. Die Narben dieser Schlacht trug er immer noch mit sich herum. Innerlich und äußerlich.

Er konnte also nur weiter machen wie es war. Ausschalten. Abschalten. Weiter machen. Es kommen auch wieder bessere Zeiten. Irgendwie. Hoffte er. Irgendwann. Flehte er. Aber tief unten, so weit unter der Hülle, dass kein Angriff dort jemals hinkommen würde, wusste er das es zu spät war. Er wusste was er würde tun müssen. Reset. Auf Anfang. Die Treppe nicht hinunter gehen. Nein, er musste springen. Selbstmord auf Raten. Eine Weitere war fällig geworden.

Er hob den Kopf. Sah ihr in die Augen und begann zu sprechen.

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Durch diese Nacht

Die Ringe unter meinen Augen waren mittlerweile größer und runder als Kornkreise auf Farmen im mittleren Westen der USA und die Erinnerung an den letzten gesunden Schlaf hatte ich an irgendeiner der unzähligen Theken dieser gottverlassenen Stadt verloren. Alles was ich in diesem Moment fühlen konnte, waren die Federn meiner durchgelegenen Matratze. Der Rest war Leere. Stille. Static. Weißes Nichts. Die einzigen Gedanken die hin und wieder die alkoholgetränkten Synapsen zucken ließen, waren Bilder vergangener Tage. Vergilb und abgegriffen. Wie als würde ich sie durch eine Milchglasscheibe sehen, flogen sie durch die sonst karge Wüste meiner Erinnerung.

Vor meiner Haustür fuhr der erste Bus mit dröhnendem Motor an und verkündete mit einem tiefen Grummeln den Anbruch eines neuen Tages. Zum Glück waren die Rollläden unten. Verzweiflung machte sich breit. Ich wollte nicht das der neue Tag begann. Er würde nichts Neues bringen. Wie alle anderen vor ihm. Selbst die Sonne, die immer wieder versuchte durch die schmalen Spalten des Rollos in mein, einer Müllhalde gleichendes Zimmer, einzudringen, konnte kein Licht und keine Farben in meine Welt bringen. Meine Welt war kalt und grau. Leblos. In meinem Kopf war Nacht. Kälte. Dunkelheit. Einsamkeit. Zerrissen nur von Fragmenten eines ehemals blühenden Lebens. Vergangenheit. Sie umhüllte mich wie ein Mantel und ließ mich Zittern. Tag für Tag.

Ich hatte schon lange aufgegeben sie zu bekämpfen. Sie kam immer wieder. Egal was ich auch tat. Mühsam stütze ich mich auf meine Ellenbogen. Wollte dieser seit Jahren andauernden Nacht entkommen. Flucht. Aber ich konnte nicht. Ich war nicht nur zu schwach, nein, wohin auch sollte ich fliehen? Es gab keinen Platz, keinen Ort an dem ich gern wäre in diesem Moment. Nur eine Zeit. Vergangenheit. Da war sie wieder. Erschöpft ließ ich mich in meine verschwitze Matratze zurückfallen. Wartete. Hoffte. Hoffte das du, wo auch immer du warst, auf mich wartetest. Wartete darauf, dass meine Nacht vorbei ging. Das die Sonne endlich wieder für uns beide aufgehen würde. Ein letztes Mal – für immer.

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