Durch diese Nacht

Die Ringe unter meinen Augen waren mittlerweile größer und runder als Kornkreise auf Farmen im mittleren Westen der USA und die Erinnerung an den letzten gesunden Schlaf hatte ich an irgendeiner der unzähligen Theken dieser gottverlassenen Stadt verloren. Alles was ich in diesem Moment fühlen konnte, waren die Federn meiner durchgelegenen Matratze. Der Rest war Leere. Stille. Static. Weißes Nichts. Die einzigen Gedanken die hin und wieder die alkoholgetränkten Synapsen zucken ließen, waren Bilder vergangener Tage. Vergilb und abgegriffen. Wie als würde ich sie durch eine Milchglasscheibe sehen, flogen sie durch die sonst karge Wüste meiner Erinnerung.

Vor meiner Haustür fuhr der erste Bus mit dröhnendem Motor an und verkündete mit einem tiefen Grummeln den Anbruch eines neuen Tages. Zum Glück waren die Rollläden unten. Verzweiflung machte sich breit. Ich wollte nicht das der neue Tag begann. Er würde nichts Neues bringen. Wie alle anderen vor ihm. Selbst die Sonne, die immer wieder versuchte durch die schmalen Spalten des Rollos in mein, einer Müllhalde gleichendes Zimmer, einzudringen, konnte kein Licht und keine Farben in meine Welt bringen. Meine Welt war kalt und grau. Leblos. In meinem Kopf war Nacht. Kälte. Dunkelheit. Einsamkeit. Zerrissen nur von Fragmenten eines ehemals blühenden Lebens. Vergangenheit. Sie umhüllte mich wie ein Mantel und ließ mich Zittern. Tag für Tag.

Ich hatte schon lange aufgegeben sie zu bekämpfen. Sie kam immer wieder. Egal was ich auch tat. Mühsam stütze ich mich auf meine Ellenbogen. Wollte dieser seit Jahren andauernden Nacht entkommen. Flucht. Aber ich konnte nicht. Ich war nicht nur zu schwach, nein, wohin auch sollte ich fliehen? Es gab keinen Platz, keinen Ort an dem ich gern wäre in diesem Moment. Nur eine Zeit. Vergangenheit. Da war sie wieder. Erschöpft ließ ich mich in meine verschwitze Matratze zurückfallen. Wartete. Hoffte. Hoffte das du, wo auch immer du warst, auf mich wartetest. Wartete darauf, dass meine Nacht vorbei ging. Das die Sonne endlich wieder für uns beide aufgehen würde. Ein letztes Mal – für immer.

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Buchstaben Kombinationen

Die Worte hallten in seinen Ohren, wie in einer Muschel nach. Immer und immer wieder hörte er die selben fünf Buchstabenkombinationen: “Du Arschloch, ich hasse dich!” Ein Satz wie ein Schnellzug. In einer unfassbaren Lautstärke und Energie aus dem Mund heraus geschossen, nur um danach eine Stille zu hinterlassen die intensiver nicht sein könnte. Er sah sie an. Nichts war mehr da. Weder Schmerz. Noch Trauer. Noch Verzweiflung. Selbst der Hass von dem sie gesprochen hatte existierte schon nicht mehr.

Alles was geblieben war, war ein Zustand der Egalität. Das Nichts der unendlichen Geschichte in Gefühlsform. Immer wieder atmete er ein, wollte etwas erwidern, etwas sagen, schreien, flüstern, kreischen, aber dann atmete er doch wieder nur geräuschvoll aus und sah ihr in die Augen. In dieser Stille waren Worte machtlos. Seine sonstige Waffe, schnell und findig, war von sich selbst geschlagen worden. Wie ein Rammbock waren ihre Wort durch seine Ohren in seinen Kopf vorgestoßen und hatten ihn Schachmatt gesetzt.

Er wusste von der Bewegung, bevor sie sie ausführen konnte. Wie in Zeitlupe nahm er die Drehung ihrer Beine, ihrer Hüfte und schließlich ihres ganzen Körpers wahr. Seine Gedanken kreisten um den einzigen festen Pfahl in diesem Tornado der Gefühle. Wenn sie jetzt geht, dann ist sie weg. Für immer. Unternimm was. Tu etwas. Sag etwas. Was? “Es tut mir leid!“ Sie blieb abrupt stehen. Drehte ihren Kopf noch einmal. Er sah eine einzelne Träne. “Das fällt dir jetzt ein?” Mit diesem Satz löste sich auch der letzte noch stehende Pfahl und riss ihn ins Bodenlose.

Alles was blieb war der eisige Luftzug und das Nachklingeln der Geräusche seinen eigenen Schnellzugs: “Ich verlasse dich!” Er hatte sie mit voller Wucht getroffen. Nicht sie ihn.

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Hey du, danke, dass du da bist!

Hey du, also ich weiß es ist etwas unfreundlich um diese Uhrzeit so reinzuplatzen, aber ich musste einfach mit dir reden. Seit längerem schon liegen mir diese Worte auf der Zunge und irgendwie habe ich jetzt das Gefühl, dass in diesem Moment der richtige Augenblick ist, dir zu sagen, was mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf geht. So, here it goes:

Ich wollte eigentlich nur Danke sagen. Du glaubst mir nicht? War klar! Aber lass mich, mich erklären. Ich weiß, ich weiß… in letzter Zeit harmonieren wir erstaunlich gut und sind auch sonst mit unserer Beziehung soweit im Reinen, aber das war ja, bei Gott, nicht immer so. Die Zeiten die wir durchlebten waren oftmals Sturm gepeitscht und undurchsichtig. Zu oft standen wir Seite an Seite um die Probleme der Welt gemeinsam von uns abzuwenden nur um kurz danach wieder im unbändigen Hass aufeinander los zu gehen und darauf zu hoffen der Andere würde sich einfach verziehen. Für immer.

Haben wir beide nicht. Wie auch. Wie sind von einander abhängig. Immer. Tag für Tag. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Wir sind wie Romeo und Julia. Sonne und Mond. George und Dick. Trotz der Streits, sei es wegen irgendwelchen Frauen die einer von uns beiden attraktiv fand, wegen unserer Eltern die wenn überhaupt nur mit mir geredet haben oder wegen meiner Freunde die sich oft genug über uns beide lustig gemacht haben, trotz all dieser Anschläge auf uns oder unsere Beziehung haben wir immer wieder zu einander gefunden.

Ich habe lange Zeit darüber nach gedacht dir das zu sagen. Ich hab Nächte lang meinen Schlaf damit vertan unsere Beziehung, unsere Abhängigkeit und unsere unerschütterliche Freundschaft, aber auch unseren Hass, unseren manchmal schon mit Todesdrohungen erfüllten Hass zu verstehen. Aber es half alles nichts, ich kam zu keinem logischen Schluss. Aber dann, eines Nachts vor ein paar Tagen wurde es mir klar. Früher dachte ich wahre Liebe wäre eine Erfindung der Industrie um Schokolade zu verkaufen. Heute kenne ich die Wahrheit. Dich! Dich in deiner ganzen Größe.

Danke das es dich gibt Herz.

Dein Verstand.

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The only thing I want

Die Koffer standen bereits seit zwei Wochen in seinem Flur. Ungefähr. Wann er sie gepackt hatte war jedoch eine ganz andere Frage. Eine die selbst er nicht mehr beantworten konnte. Immerhin taugten sie als Staubfänger bzw. standen sie mittlerweile so im Eingangsbereich drapiert, dass man denken konnte sie wären moderne Kunst. Der heutige Tag sollte das ändern. Zum ersten Mal war er wirklich bereit. Die Entscheidung war während seines Guten-Morgen-Kaffees gefallen. Heute würde er die Stadt, das Land, ja sogar den Kontinent verlassen.

Wie lange er gehen würde wusste er selbst noch nicht. Wohin war auch noch nicht sicher. Aber der Entschluss zu gehen, war es zum ersten Mal. Das Ticket war bereits gebucht. Ohne Rücktrittsversicherung. Jetzt wo er im Flur stand und sich seine Mütze über den Kopf zog wusste er dass das was er vorhat richtig war. Rational war es total schwachsinnig. Allerdings ist rationales Denken nicht immer die rationalste Entscheidung.

Während er so im Flur stand, mit beiden Koffern in den Händen und seiner Wollmütze auf dem Kopf, blickte er noch einmal über den Flur hinweg in seine Wohnung. Irgendwie hatte er das Gefühl in sein altes Leben zu blicken. Verrückt. Sein altes Leben. Wie sich das anhörte. Glauben wollte er es noch nicht so recht. Er ließ sein Leben ja nicht zurück. Er wollte ja wieder kommen. Er wusste nur nicht wann. Konnte aber auch nicht sagen wann, da er vermutlich eh etwas länger bleiben würde als geplant. Mit einem letzten langem Ausatmen drehte er sich auf dem Absatz um und ging durch die Haustür nach draußen.

Nachdem er lange in der offenen Tür gestanden hatte ohne irgendetwas zu denken, schloss er die Haustür und machte sich auf den Weg zu seinen Nachbarn. Sie würden in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten vermutlich auf die Wohnung aufpassen. Sicher war das nicht. Jetzt gab es nur noch eine Sache für ihn zu erledigen. Sobald er sich in den Zug zum Bahnhof gesetzt hatte begann er sich einen alten Songtext ins Gedächtnis zu rufen.

i might be gone a little while
i guess we’ll see
i gotta make a home outta somewhere
and it’ll take a flight to figure out
where i’m gonna finally land
but i should probably say that i’m unsure why i’m running
running away from the only thing i want
yeah, i should probably say that i’m unsure why i’m running
running away from the one i love

Diesen schrieb er auf einen einfachen Zettel und sendete ihn noch vom Flughafen ab. Zieladresse: Seine eigene Wohnung in der seine Freundin noch geschlafen hatte, als er sie verlasen hatte.

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Das Schließen der Tür

Durch den Spalt der sich gerade schließenden Tür konnte er noch das Tropfen ihrer Tränen auf dem kalten Steinboden im Flur hören. Sie war vor ihm Zusammengebrochen. Obwohl er es wollte, hatte er sie nicht festhalten können. Selbst als sie unter Tränen zu ihm aufgeblickt hatte und ihn gebeten, nein angefleht hatte nicht zu gehen, selbst da hatte er sich nicht überwinden können zu bleiben. Das kurz aufgeflackerte Mitleid war von dem unbändigen Hass ihr gegenüber sofort wieder verdrängt worden. Er wusste das er ihr nie würde vergeben können.

Vor mehr als sechs Jahren hatten sie sich kennen gelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie war sein Leben gewesen. Er hätte alles für sie getan. Die Überstunden in der Firma hatte er nur für sie auf sich genommen. Sie hatte ihn nie dazu gezwungen, er hatte es freiwillig gemacht. Für sie. Für sich. Für beide. Für ihre Zukunft. Für ihre Beziehung. Er wusste das er seine Traumfrau gefunden hatte, sie scheinbar nicht. Entweder hatte sie es nie verstanden was sie ihm bedeutet hatte oder es war ihr egal gewesen. Sie hatte die Beziehung zerstört. Ihn zerstört, sein Vertrauen, seine Welt und alles was ihm Halt gegeben hatte.

Wie so oft hatte sie nur an sich gedacht. Nicht an ihn. Nicht an die Beziehung. Überhaupt hatte sie wieder nur ihr Ego im Kopf gehabt. Immer wieder diese Egotrips von ihr. Das hatte ihn immer aufgeregt, aber seine Liebe für sie war zu groß gewesen als das er es ihr hätte sagen können. Es war ihm auch egal gewesen. Aber dieses mal war sie zuweit gegangen, sie hatte seinen Stolz mit Füßen getreten. Er hörte sie schreien durch die schluchzenden Atemversuche. Sie machte ihn Wahnsinnig. Obwohl er sie hasste, wollte er sie trösten. Seine Liebe und sein Hass rissen ihn innerlich auseinander. Er musste hier weg bevor er sich selbst betrog.

Von einer Sekunde auf die andere hörte das Schluchzen, das Schreien, die Verzweiflung über den Fehler den sie begangen hatte auf. Die Tür war zugeschalgen. Mit der Tür schloß sich auch die Truhe mit den Errinerungen an sie. Langsam, aber sie begann sich zu schließen. Während er sich die Kopfhörer in die Ohren steckte und die Musik auf seinem Handy anmachte, dachte er über die Zukunft nach. Er wusste das er lange brauchen würde, Monate wenn nicht Jahre, bevor er wieder jemandem so Vertrauen könnte. Sie hatte viel von ihm zerstört. Sie hatte ihn gezeichnet. Für immer. Aber der Schritt in die Sonne dieses lauwarmen Sommertages ließ ihn positiv in die Zukunft blicken.

Die vom Schmerz verzehrten hysterischen Schreie bekam er nicht mehr mit. Er hatte ihre Gegend schon lange verlassen. Sie daraufhin die Welt. 

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Es tut mir leid

Langsam und behutsam um ja kein Geräusch zu verursachen tastete er sich auf der alten Kellertreppe voran. In den Händen balancierte er ca. 15 Geschenke. Die ganze letzte Woche war er unter Ausreden wie z.B. länger arbeiten zu müssen, etwas mit den Jungs zu unternehmen oder einfach beim Sport zu sein, in die Stadt gefahren und hatte all die Dinge gekauft von denen er (noch) wusste das sie sich darüber freuen würde. Natürlich war im klar, dass das letzten Endes viel zu übertrieben war, immerhin waren es nur ihr Jahrestag. Aber die letzten Monate hatten ihren Spuren am Fundament der Beziehung hinterlassen.

Immer wieder hatten sie sich in die Haare bekommen. Hatten sich angeschrien, Tage lang nicht miteinander geredet, in getrennten Zimmern geschlafen und Sachen durch die Gegend geworfen. Allerdings hatten sie sich auch immer wieder zusammengerafft und die letzten Wochen waren wie der Beginn einer neuen Beziehung gewesen. Sie hatten wieder zusammen rumgealbert, waren im Kino, im Zoo, Eis essen und haben auf ausgedehnten Spaziergängen viel über ihre gemeinsame Zukunft gesprochen.

Das Licht im Haus war bereits ausgewesen als er die Kellertür aufgeschlossen hatte. Da sie heute nicht mehr mit ihm gerecht haben konnte, er war ihrer Meinung nach auf Geschäftsreise am anderen Ende des Landes, lag sie wohl schon im Bett. Gerade deshalb war er so spät gekommen, damit er in aller Ruhe die Geschenke im Wohnzimmer aufbauen konnte. Liebevoll machte er sich an die Arbeit. Die größeren nach hinten, die kleinen nach vorne. Er baute die Geschenke wie ein Amphitheater auf, in dessen Mitte ein riesen großes Plüschherz lag, bedeckte alles mit Rosenblättern und beschloss spontan die Überraschung vor zu ziehen.

Eigentlich hatte er vorgehabt auf dem Sofa zu schlafen und sie am nächsten Morgen komplett zu Überraschen, aber da er die Vorfreude über ihre Freude nicht mehr aushalten konnte, holte er noch schnell einige Kerzen aus dem Schrank und stellte sie ebenfalls in das Amphitheater. Danach ging er in Richtung Schlafzimmer. Ohne Licht an zu machen, ging er auf Zehenspitzen, um sie nicht zu wecken, durch den ihm seit nun mehr drei Jahren wohl vertrauten, stockdunkelen Raum zu Ihrem Nachttisch.

Als er das Licht anmachte, hatte sie ihm wie so oft in ihrer Beziehung die Worte vorweg genommen. Auf ihrem Kissen lag nicht ihr Kopf sondern nur eine Brief mit den Worten: Es tut mir leid!

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