Spuren im Schnee

Einen Fuß locker aus das Knie des anderen Bein’s gelegt, sitze ich schweigend in der Nacht. Die Kopfhörer über meiner Mütze wechseln sich damit ab, mit dem Soundtrack von Ziemlich beste Freunde und meiner MiesePrieseSongs-Playlist die kalte Nacht zu durchbrechen. Die Luft vor meinen Augen kristallisiert sich mit jedem Atemzug. Wie ein Kaleidoskop bricht sich das Licht des Mondes in meinem Atem und taucht den Boden vor mir in ein Lichtspektakel wie in 1001 Nacht. Um mich herum fällt kleiner, weicher Pulverschnee. Nicht viel. Gerade genug um im Licht des Mondes und der Straßenlaternen zu tanzen. Der Platz vor mir ist weiß. Keine Spuren im Schnee. Kein Mensch hat bisher die Schneefläche betreten. Es hat etwas erhabenes in diesen Momenten anwesend zu sein. Zu sehen wie schnell die Natur etwas verschwinden lassen kann. Vergänglichkeit im Zeitraffer. Wo vor zehn Minuten noch ein Platz war ist jetzt ein kahle, kalte, Zentimeter hohe Decke aus feinsten Eiskristallen.

Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue in den Himmel. Die hellsten Sterne funkeln selbst im Licht der Laternen noch in diesem von Wolken zerrissenen Stadthimmel. Die Eiskristalle des Schnees bleiben in meinen Augenlidern hängen. Die Zigarette in meiner Hand brennt immer weiter ab. Längst vergessen. Ich konzentriere mich eh nicht mehr auf meine Gedanken. Sie fliegen wie Eintagsfliegen durch meinen Kopf. Alle wollen das ich sie wahr nehme. Sie verbinde. Sie mir einverleibe. Mich ihnen zuwende. Sie zu Ende denke. Ich kann momentan aber eh keinen klaren Gedanken fassen. Zu verwirrend ist mein Leben in diesen Tagen. Das einzige was immer wieder aufblitzt, wenn ich blinzele sind die Bilder. Bilder von ihr. Bilder von der Heimat. Bilder meiner Geschichte. Sie bleiben auf der Netzhaut hängen und projizieren sich in die Schneeflocken.

Während Maeckes mich fragt ob ich noch weiß wie es war, sehe ich sie lachend vor mir sitzen. In dem kleinen Straßencafe. Direkt um die Ecke ihrer Wohnung. In der Heimat. Ich blinzele. Der verschneite Garten meiner Eltern flackert in den Schneeflocken über meinen Augen. Grinsend und ganz mit Schnee bedeckt kommt unser Hund neben der Katze aus der Hecke und schüttelt sich. Blinzeln. Jahre später. Der gleiche Garten. Neuer Schnee. Diesmal kommt nur noch unsere Katze aus der Hecke. Vergänglichkeit der Natur. Sie wiederholt sich immer wieder in unserem Leben. Auf eine andere Art und Weise. Blinzeln. Ich sehe mich selbst. Neben ihr. Auf derselben Bank. Es ist Spätsommer. Wir lachen wieder. Erstaunlich wie oft wir eigentlich gelacht haben. Blinzeln. Der Nachthimmel über mir. Ich muss meine Augen schließen. Die Zigarette ist längst aus. Ich werfe sie in den Mülleimer neben mir und stehe auf.

Wo vorher noch eine unberührte Schneedecke war, werden für kurze Zeit meine Fußspuren zu sehen sein. Für einen kurzen Moment verschmelzen meine Schuhe mit dem Schnee unter ihnen. Formen ihn. Verändern ihn. Dann gehen sie weiter und lassen ihn zurück. Verändert. Verformt. Aber nicht vergessen. Ein Teil des Schnees bleibt an ihnen kleben und verändert ihre Farbe. Für immer. Ich atme ein letztes Mal durch und setzte langsam und behutsam einen Schritt vor den anderen. Ich möchte soviel wie möglich von der wunderschönen Schneedecke erhalten. kultivieren. Damit ein anderer dieses Wunderwerk bestaunen kann. Meine Spuren im Schnee werden schon bald im stärker gewordenen Schneefall verblassen. Aber trotzdem werden sie noch da sein. Unter der Obersten Schicht. Für immer. Wie der Schnee an meinen Schuhen. Hoffe ich.

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