Zwischen den Kastanienbäumen

Ich kenne dich schon sehr lange. Eigentlich schon immer. Wenn man es ganz genau  nimmt, mein Leben lang. Wir haben uns oft gesehen. Dann immer seltener. Und in letzter Zeit beinahe jeden Moment, der blieb. Oder ich mir die Zeit nehmen wollte. Doch an diesem mit grauen Schleierwolken behangenen Morgen, als die Nahen und die Fernen, die Vertrauten und die Fremden zu einer kleinen Lichtung am Rande des Waldes kamen, warst du nicht bei ihnen. Sie schwatzen wild durcheinander. Von alten Zeiten und von neuen Möglichkeiten. Sie redeten unaufhörlich. Fast unverschämt laut und grell lachten und weinten, kicherten und jammerten sie. Ich wartete noch einen Augenblick bevor ich ihnen den Weg hinunter in den dunklen Wald folgte. Vielleicht würdest du ja doch noch kommen.

An der Kreuzung zwischen den drei Kastanienbäumen blieben wir stehen. Ein staatlicher Mann trat aus unserem Kreis. Ich lauschte seiner wohlklingenden Stimme. Er sprach von den Weisheiten der alten Griechen, so wie ich es ihm aufgetragen hatte. Ein braver Mann. Immerhin hatte ich ihm ja auch fast eine Monatsmiete dafür bezahlt, dass er mir die Offenbarung des Messias vom Halse hielt. Die ketzerische Hexe wäre da bei weitem nicht so folgsam gewesen. Sie hätte ich ja auch mit meinem Seelenheil bezahlen müssen, was mir dann doch als ein zu hoher Preis erschien. Er musste wohl ab und zu diese Art zu sprechen vor einem Spiegel geübt haben. Diese Art…bedacht und ehrfürchtig. Auch wenn er hier und da der korrekten Verwendung des Plurals nicht mächtig war. Kontrolliert bedeutungsschwer klang ein jedes seiner Worte. Gleichzeitig wohl teilnahmslos, einstudiert und leer.

Er hielt einen Moment inne und starrte mich an. Da ich glaubte zu wissen was er von mir erwartete, ging ich die wenigen Schritte auf ihn zu. Er sah mich wohlwollend an und reichte mir eine weiße Rose. Wie aus weiter, weiter Ferne drang seine sanfte Stimme an mein Ohr: „Am Anfang wenn alles beginnt, wenn wir geboren werden, dann sind wir fremd in dieser Art von Existenz. Von der sorgenlosen Ewigkeit umhüllt fallen wir aus dem Kreis in die zerfließende Endlichkeit. Eine Weile wandeln wir in dieser Zeit, bis wir letztendlich wieder zerfließen in der Endlichkeit und zurückkehren in die Ewigkeit.“ Die Rose glitt mir aus der Hand und fiel hinunter in die Dunkelheit. Und ich wusste du würdest nicht mehr kommen.

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A place for me and mom to hide

Der Himmel war Wolkenverhangen, nur vereinzelt kamen die Sonnenstrahlen hinter den dunklen, großen Bergen der regenschweren Wolken zum Vorschein und ließen den Sand vor seinen Augen funkeln wie die Sterne des Mobiles über seinem Bett. In seinem Gedanken war er auf einer Großbaustelle. Der Bagger in seiner Hand hob gerade den Keller für das Haus aus. Es sollte ein großes Haus werden. Schön und freundlich, mit viel Platz für sie und ihn. Er hatte ja nur sie. Die anderen auf dem Spielplatz waren immer mit einem er oder einer wie ihr da. Er aber immer nur mit ihr. Wobei sie meist auch nur an der Seite stand bzw. auf einer der Bänke sahs und Rauch spie wie ein Drache aus einer seiner Rittergeschichten.

Er hoffte das er, wenn er ihr ein großes, schönes Haus bauen könne, wo sie und er Zuflucht hatten, das sie dann etwas netter wäre. Sie war so oft gereizt. Er traute sich oft schon gar nicht mehr mit ihr zu reden. Besonders wenn es dunkel wurde und sie dieses, in der Nase brennende, Wasser trank. Dann wurde sie sehr gemein und schickte ihn in sein Zimmer. Er versteckte sich dann immer unter der Bettdecke mit einer Taschenlampe. In der Sicherheit der Decke im matten Schein der kleinen Taschenlampe verschwand er dann an andere Ort. Meistens zu den Familien aus dem Fernsehen. Dort wo alle immer lachten, mit einander spielten, glücklich waren und in diesen schönen Häusern wohnten. Immer diese Häuser.

Er hatte den Keller ganz vergessen. Ein wenig Sand war schon wieder in das Loch gerieselt. Unbeirrt baggerte er weiter. Sein Blick suchte sie. Wie immer stand sie an der Seite, spie rauch und redete wieder ohne ihn zu beachten. Oft schon hatte er sich gefragt ob er wieder was falsches getan hatte in so einer Situation. Aber er traute sich nicht zu fragen. Sonst wurde sie bestimmt wieder böse und er musste in sein Zimmer. Das wollte er nicht, er wollte viel lieber von ihr umarmt werden. Aber das würde sie vermutlich eh nicht. Ohne was zu sagen baggerte er weiter. Er unterdrückte wie so oft die Tränen und zog die Nase hoch.

Sie spieh immer noch rauch und schwang die Arme wie ein Greifvogel. Er baggerte immer weiter. Aber kam nicht tiefer. Immer wieder rutschte der Sand von den Seiten zurück. Egal wie schnell er baggerte, er kam nicht hinterher. Je schneller er wurde um so mehr Sand rutschte zurück. Die Bewegungen, immer verzweifelter und hektischer, wurden immer unkoordinierter. Kurz vor einem Heulkrampf kam sie auf einmal wieder und nahm ihn an der Hand und zog ihn, wieder einmal böse über ihn oder den anderen, von der Baustelle weg. Verzweifelt sah er dem Sand hinterher, der langsam das Loch für den Keller wieder füllte. Morgen würde er weiter machen. Bis er ein Versteck hatte. Für sie. Für ihn. Zum Glücklich sein.

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Von Steinen und Hölzern

Obwohl ich mich auf dich konzentrieren wollte, schweiften meine Gedanken immer und immer wieder ab. Ich erfreute mich an dem wunderbaren, perfekt geschnittenen, du würdest ihn vermutlich einen englischen nennen, Rasen und war gleichzeitig davon fasziniert, dass man Muster in einen Rasen mähen konnte. Ich mein Fußballfelder sehen von oben schon cool aus. Wie ein Schachbrett… Ein Niesreiz brachte mich zurück zu uns auf den Rasen, zwischen die ganzen Steine und das viele Holz um uns herum. Das Holz schien dich verschluckt zu haben. Vor wenigen Minuten noch hatte ich dich direkt vor mir gesehen und jetzt warst du scheinbar hinter der Eiche nur ein paar Meter vor mir verschwunden und nicht mehr in meinem Blickfeld.

Die Geräusche der Umgebung wurden wieder leiser und mein Kopf begann von neuem damit abzuschweifen… Wieso eigentlich hatten wir noch nie miteinander Fußball gespielt? Ich mein wir “kennen” uns jetzt praktisch mein ganzes Leben und soweit ich mich erinnere haben wir nie auch nur eine Runde zusammen auf dem Bolzplatz verbracht. Das war inakzeptabel. Ich fügte meiner inneren TODO Liste einen weiteren Punkt hinzu und setzte das Fälligkeitsdatum auf spätestens in 100 Jahren. Schon wieder ein Niesreiz. Dieser gepaart mit dem Gedanken an eine 100 ließen mich zurück in das hier und jetzt kommen. Ich dachte, dass du es dir endlich mal gemütlich gemacht hättest und hinter der Eiche auftauchen würdest. Aber du warst immer noch verschwunden. Wie langsam sich manche Leute bewegen konnten war mir schleierhaft, aber du warst ja auch stadtbekannt für deine unmenschliche Faulheit. Alles koordiniertest du, nichts wurde selbst gemacht.

Selbst jetzt, wo dich scheinbar keiner in meiner Umgebung hören oder sehen konnte, koordiniertest du sie alle. Alle taten was du von ihnen verlangtest. Früher hast du auch immer probiert zu koordinieren. Wobei kommandieren das wohl bessere Adjektiv wäre, zumindest laut Mama. Wenn sie von dir redet. Jedoch hat das Kommandieren damals von einem Tag auf den anderen aufgehört. Seitdem habe ich, trotz der Streits und der Ungerechtigkeit davor, darauf gewartet, dass du nach dem die Tür hinter dir zuschlug irgendwann wieder kommen würdest. Aber das Einzige was mir blieb war das Holz der Tür. Stundenlang habe ich davor gesessen, die Maserungen gezählt und probiert nachzuzeichnen. Ich konnte sie mir immer wieder ansehen. Täglich. Das plötzliche Verschwinden der Eiche im Erdboden vor mir brachte mich zurück in die Realität. Dem Holz der Tür würde nun bald ein Stein folgen.

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Sekunden einer Ewigkeit

Ich sitze auf dem Boden. Keine 3 Jahre alt – Bin nicht gut im Schätzen. Meine Augen funkeln wie übergroße Smaragde, als ich die rote Schleife meines Geschenks löse und mich ein gebrauchter, alter Teddy anstarrt. Trotz des fehlenden Auges und der am Rücken aufgeplatzten Nähte war er das schönste Geschenk von allen. Meine Mutter weint vor Glück, mein Vater begutachtet den leeren Boden seiner Schnapsflasche. Die Tür geht auf und da steht Sie – Meine Jugendliebe. Ihr rötliches Haar ist zu einem langen Zopf gebunden, ihre Sommersprossen tanzen im Schein der Sonne und ihr Lächeln lässt mich nur so dahin schmelzen. Ich nehme ihre Hand, gehe mit ihr gemeinsam durch die Tür und stehe in der Küche. Mein Vater sitzt am Tisch, das Gesicht in den Händen vergraben, meine Mutter liegt auf dem Fußboden. Ihre Haut ist so weiß wie die Fliesen, auf denen sie sich befindet.

Der Lärm von Kirchenglocken lässt fast meinen Schädel zum Platzen bringen. Die Schmerzen in meinem Kopf lassen mich taumeln. Rückwärts falle ich durch den Flur und lande auf einem Stuhl. Meine Lehrerin beugt sich zu mir runter. Ihr großer Leberfleck neben der Nase wird größer und größer. Sie blickt mich hinter ihrer schmalen Brille an. Meine Wange brennt wie Feuer, die anderen Kinder lachen über meinen roten Händeabdruck in meinem Gesicht. Mir kommen die Tränen und ich stürze durch die Klassenzimmertür direkt ins Haus meiner Eltern. Der Gürtel meines Vaters schellt in der Stille der Nacht. In meiner Haut bilden sich tiefe, blutige Risse – Die Schmerzen sind unerträglich. Doch ich kann entkommen, fliehe durch seine Beine und sehe meine Freunde, die mir freudestrahlend zuwinken. Ich laufe direkt in ihre Arme, sie jubeln, trinken, feiern und ich schließe mich Ihnen an.

Ich weiß nicht wie, aber plötzlich stehe ich sturzbetrunken vor meinem Studentenzimmer. Ich öffne die Tür – Und da steht Sie. Meine Jugendliebe. Ihr rötliches Haar hat nun ein paar kleine Locken. Sie sieht in ihrem weißen Kleid wie ein wunderschöner Schneeengel aus. „Ja ich will!“ sagt sie mit lauter Stimme – Wir küssen uns und ich schließe die Augen. Das Kreischen eines Säuglings hallt durch den Raum und ich öffne sie wieder. Dieses kleine, zarte Wesen liegt in meinen Armen und nuckelt an meinem Daumen. Mir kommen die Tränen. Es ist der schönste Tag meines Lebens.

Ich lasse Frau und Kind zurück, gehe durch die Tür in mein Büro. Mein Chef spuckt Feuer und Galle, haut mehrmals mit seinen Fäusten auf meinen Schreibtisch, sodass Bilder und Aktenordner wackeln. Die Kündigung fliegt folgend durch den Briefkastenspalt meines Hauses direkt in meine Arme. Ich setze die Flasche an, der brennende Alkohol betäubt meine inneren Organe.

Ich sitze auf dem Sofa, meine Frau brüllt mir etwas an den Kopf, meine Tochter steht zitternd dahinter und weint. Ihr sonst so schön glänzendes rötliches Haar ist zerzaust und klebt an ihren Wangen, ihr rechtes Auge ist blau, ihre Nase blutrot. Das Quietschen der Reifen hört man auch noch in der Ferne.

Stille. Grelles weißes Licht. Der Film ist vorbei, das letzte Kapitel ist zu Ende. Sein Kopf rast mit einem donnernden Knall in den Nacken, ehe er mit einem dumpfen Geräusch auf dem Tisch aufschlägt. Raucht steigt aus der Mundhöhle empor, das Holz färbt sich rot, der Revolver gleitet aus seinen Fingern.

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