Auf Chance reimt sich immer noch Irrtum

Verborgen hinter Umzugskartons versuchten zwei 30 Watt Ikea Stehlampen ihr Bestes um dem Raum durch indirektes Licht etwas Atmosphäre zu verpassen. Ein unmögliches Unterfangen – wie ich bereits beim Betreten des Raumes feststellen musste. Nicht das es an den Stehlampen gelegen hätte. Ihr Licht wurde durch die braunen Kartons angenehm gedämpft. Das Problem war das Strobolicht aus dem Nachbarzimmer und der Bass der die Bilder an der Wand rhythmisch bewegte.

Irgendwer war neu in die WG gezogen und feierte seinen Einzug. Mit Oettinger in der Hand hockte ich im Schneidersitz auf dem Boden zwischen Thomas und Sabrina. Thomas war wie immer relativ schnell angeheitert und unterhielt die kleine Gruppe allein. Gedanken verloren trank ich hin und wieder einen Schluck Bier und fragte mich nicht zum ersten Mal an diesem Abend wieso ich der Einladung überhaupt zugesagt hatte und was ich hier sollte. Obwohl wir nicht mehr den geringsten Kontakt hatten, hatte ich zwei Sekunden nach dem Facebook „bing“ die Einladung angenommen und musste jetzt über die schon fünfmal gehörten Eskapaden von Thomas lachen.

Nachdem gefühlt 300. halbherzigen Lachen und der sechsten Frau die Thomas mit einer ach so lustigen Story rumbekommen hatte wurde es Zeit für eine Zigarette. Während ich probierte ohne umzufallen aus dem Schneidersitz aufzustehen, wurde es auf einmal ruhiger und alle schauten mich erwartungsvoll an. Ohne hinzusehen wusste ich du hattest den Raum betreten. Wieso konnten die nicht einfach weiter reden. Es gab nichts was wir uns hätten sagen können was so wichtig gewesen wäre, dass Thomas seine Geschichte über Anja hätte unterbrechen müssen. Mit einem „ich geh erstmal rauchen“ ging ich an dir vorbei durch den Türrahmen und ließ dich in meinem Lieblingskleid stehen.

Ohne zurück zu sehen navigierte ich über den zur Tanzfläche umfunktionierten Flur zielstrebig zum Balkon. Vorbei an, zu Musik die ich nicht mochte, tanzenden Menschen die ich nicht kannte, über Bierlachen und knutschende Pärchen. Auf dem Balkon atmete ich erstmal tief durch zog den Tabakbeutel aus der Tasche und begann zu drehen. Wieso hattest du genau das Kleid an. Auf der ersten gemeinsamen Party seit einer gefühlten Ewigkeit. Du wusstest das es mein Lieblingskleid war und hattest es während unserer Zeit nur zweimal angehabt. Wieso? Was erwartetest du von diesem Abend?

Wir hatten einfach nichts mehr zu besprechen. Ich hatte dir alles gesagt. Alles gegeben. Immer wieder. Ein kleiner Kompromiss hier. Ein Zugeständnis da. Aber das war nicht genug. Nicht für dich. Also bist du gegangen bevor es ernst wurde. Jetzt hast du mich also eingeladen und hast dieses verdammte Kleid an. Du hast vier Millionen Kleider. Wieso genau das? Ich dachte mich in Rage. Wollte dich wieder vergessen. Aber jetzt warst du wieder da. Omnipräsent und lächelnd. Im Türrahmen. In diesem Kleid.

Nach einer gefühlten weiteren Ewigkeit und fünf Zigaretten sowie drei Bier später hatte ich mich endlich wieder beruhigt und verließ den Balkon. Ein frisches Bier in der Hand, fasste ich den Entschluss dir doch nochmal eine Chance zu geben. Zumindest mal mit dir reden. Hören wie es dir geht. Was du zu sagen hast. Die Tanzfläche betretend suchten meine Augen nach dir. Nach dem einen Kleid. Gefunden. In den Armen von Thomas. Gehässig grinsend setzte ich die Flasche an. Trank sie in einem Schluck aus, ließ sie fallen, nahm meine Jacke und ging.

Im Kopf hallte mir Jupiter Jones noch lange nach: Am schönsten ist die Chance die man verpasst.

Weiterlesen

Kamikaze

Die verwinkelten Gedankenschlösser, in die er sich zurückgezogen hatte, um ihr nie wieder begegnen zu müssen, waren ihm zu kalt und einsam geworden. Die Erinnerungen an den Moment, als sie die Tür hinter sich zu warf, hatte er in ihnen hinter sich gelassen. Nun hatte er sich von all dem abgewandt und versuchte, seinem Leben in der Tristesse einer Grenzstadt im tiefsten Brandenburg wieder irgendeine Bedeutung zu verleihen.

Jetzt, in der Sekunde, als er ihr die Tür aufmachte, wusste er, dass er sich selbst belogen hatte. Die Realität, in die er scheinbar zurückgekehrt war, verschwamm in dem Moment als er sie dort stehen sah. Sie stand dort mit verweinten Augen in seinem Lieblingskleid vor ihm und hauchte ein zaghaftes “Hi” in seine Richtung.

Seine Gedanken überschlugen sich. Malten die Bilder mit frischer Farbe nach, die er gerade erst vergessen hatte. Zogen neue Konturen und Umrisse. Verfeinerten und erweiterten die verschollen geglaubte Fantasie. Renovierten, bauten an und erschufen gänzlich Neues. Durchbrachen die Grenze von Fiktion und Realität und ließen sie dort in seinem Türrahmen in einem helleren Licht erstrahlen.

Unfähig, auch nur einen Ton herauszubringen, stand er dort, in T-Shirt und Boxer-Shorts und blinzelte. Versuchte die Situation zu verstehen. Zu analysieren. Zu rationalisieren. Aber alles, wozu er in der Lage schien, war zuzuhören, als sie begann zu sprechen. Er nahm die Worte gar nicht richtig war, sondern versank in den Oktaven ihrer Stimme.

Er wiegte sich in den kleinsten stimmlichen Änderungen wie ein Segelboot in einem sanften Seegang. Verließ Raum und Zeit und genoss die Irrationalität des Moments. Für einen kurzen Moment war die Realität Fantasie und die Fantasie Realität. Ihre leise Stimme stemmte sich gegen die Tristesse außerhalb seiner Wohnung und nahm ihn mit der Aussage “I know I never loved you, but I might just try again tonight.” endgültig wieder gefangen.

Er wusste, es würde wieder zwei Wochen gut gehen und sich wie ein Höhenflug anfühlen. Ein Moment Perfektion, bevor er, wie damals, nach steilem Sturzflug am Boden zerschellen würde. Sie mussten scheitern. Wie die Male zuvor. Er atmete tief ein, akzeptierte das Schicksal und bat sie herein.

Weiterlesen

…und dann warst da du

Ich hatte mich gerade damit abgefunden. Also so, dass ich wieder lachen konnte. Dass mich nicht alles an sie erinnerte. Dass ich nicht dachte: Junge, du hast den dümmsten Fehler deines Lebens gemacht. Ich hatte wieder ein Lächeln auf den Lippen. Die Sonnenbrille im Gesicht und fühlte mich gut. Befreit. Geduscht. Die Altlasten abgeworfen. Ich wollte mich selbst genießen. Mich selbst feiern. Mich in mich selbst verlieben. Mich wieder wertschätzen. Ich wollte einfach frei sein. Und dann warst da du. Ohne TamTam. Ohne Fanfaren. Einfach da.

Einfach so. Ohne, dass du das wolltest. Ohne, dass ich das wollte. Es war Zufall. Schicksal. Fügung. Oder einfach nur das Leben. Aber auf einmal waren da wir. Du wolltest das. Ich wollte das. Wir haben uns gegenseitig gefeiert. Uns gegenseitig genossen. Uns gegenseitig wertgeschätzt. Wir haben uns gegenseitig frei gemacht. Anstatt mich in mich zu verlieben, habe ich mich in dich verliebt. Habe dich geduscht. Probiert zu befreien. Von den Gedanken. Den Altlasten. Der Vergangenheit. Da war auf einmal Zukunft. Für mich. Aber nicht für dich. Und dann warst da du – nicht mehr.

Weiterlesen

Von Stiften und Herzen

Der Duft von dir ist schon lange aus dieser Stadt verflogen, wie die Zugvögel, die im Winter dahin fliegen, wo die Sonne länger scheint. Diese Stadt – sie trägt mittlerweile wieder grau. Schwer und wolkenverhangen verdeckt die angehende dunkle Jahreszeit ihr Antlitz in einer Tristesse aus Grautönen. Damals, als wir uns kennenlernten, hatte die Stadt sich gerade für den Sommer gerüstet. Oder für uns. Hatte die Tristesse des Winters gegen das Kaleidoskop des Frühlings getauscht und ließ für uns alles scheinbar endlos erscheinen.

Vom Frühling und der Sonne getragen, schrieben wir zaghaft die ersten Sätze unserer ganz eigenen Version dieser, sich immer wiederholenden Geschichte. Wir hatten Kitsch, Hollywood und Telenovelas zusammengeworfen und begannen aus diesem Konglomerat die Geschichte weiter zu schreiben. Du als Kurzgeschichte. Ich als Roman. Intensität traf auf Erkunden. Schnelllebigkeit gegen Innehalten. Du reduziertest auf ein Minimum, wo ich Seiten füllen wollte. Ohne es zu merken hatte ich mich einfach blind in dem Verderben der perfekten Illusion verrannt. So war es dann auch für die Leser der Geschichte nicht wirklich verwunderlich, als du auf einmal mit dem Twist „Es liegt an mir“ ein abruptes Ende fandest, wo ich noch im dritten Kapitel feststeckte.

Dann standst du wieder einmal vor mir. Unscheinbar. In deinem Lieblingskleid. Keck lächeltest du mich an und fragtest, ob ich nicht kurz Zeit hätte Kaffee zu trinken. Du warst gerade „in-between-meetings“ und konntest Ablenkung gebrauchen. Ablenkung. Das Wort rief verdammt viele gute Erinnerungen wach. Keine davon hat mit Kaffee zu tun. Aber ich willigte ein. Einerseits weil ich bei dir eh nie nein sagen konnte und andererseits haben Fußnoten noch keinem Text geschadet. Natürlich blieb es nicht bei einer Fußnote. Es wurde ein Exkurs. Ein verdammt langer Exkurs. Mein Kopf schrieb und schrieb. Selbst als du schon lange wieder in einem deiner Meetings, irgendwo in den verglasten Stockwerken über den Wolken verschwunden warst, schrieb ich noch.

Der wievielte Exkurs es war, konnte ich schon nicht mehr zählen. Auf jeden Fall waren sie zusammen weit größer als all das, was wir einmal hatten. Dennoch war da ein komisches Gefühl. Irgendwie war dieser Exkurs anders als die anderen. Sicherlich – ich schrieb über uns. Über dich. Über mich. Aber ich radierte immer öfter. War unzufrieden. Wurde wütend, weil die Geschichte nicht mehr passte wie ich sie wollte. Ich wollte Strandhochzeit und Kinderglück, doch schaffte es immer wieder nur alleine an der Theke daran zu sitzen. Die Realität hatte mich eingeholt und machte mir unmissverständlich klar, dass die Geschichte, egal wie weit wir sie zusammen geschrieben hätten, von Anfang an zum Scheitern verurteilt war.

Dieser Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest und begann zu keimen, zu blühen und sich auszubreiten. Mehr und mehr setzte er sich in meinem Kopf fest und ich schrieb immer weniger. Hörte damit auf, die Realität durch alkoholgetränkte Fantasien zu ersetzen. Schrieb irgendwann einfach nicht mehr über mich. Nicht mehr über dich. Nicht mal Exkurse. Und auch das Bisschen was ich in seltenen Stunden, zumeist am Abend, über uns schrieb, wurde weniger. Mir gingen die Ideen aus.

Bis ich eines Tages…

Weiterlesen

Jäger des verlorenen Schatzes

Damals hattest du immer so ein Funkeln in den Augen, wenn du etwas ganz besonders gesehen hast. Dein Mund wurde dann spitzer und deine Augen schmaler, ganz so, als würdest du etwas im Schilde führen. Aber immer ein Funkeln zwischen den Pupillen. Poeten ziehen in so einem Fall gerne den Vergleich mit Diamanten. Das ist mir in deinem Falle aber zu kitschig. Du warst nie kitschig. Eher so liebenswert einen Schritt neben der Gesellschaft. Weniger aus Überzeugung, als vielmehr wegen deines verplanten Charakters. Heute sieht man dich nur noch selten und auch das Funkeln in deinen Augen ist wie eine Anekdote aus längst vergangenen Zeiten. Eine Erinnerung. Die einst so stolze Person die ich kannte, ist heute nicht viel mehr als ein auf Grund gelaufenes Schiff, das täglich von den Wellen die gegen sie schlagen, ein Stück weiter vernichtet wird.

Dabei warst du soviel mehr. Du hast meine Welt in einer Zeit zusammen gehalten, in der nicht mal Duct Tape geholfen hätte. Du hast mir gezeigt, das – verzeihe mir den Kitsch – Traumpartner nicht eine Erfindung der Schreiberlinge aus der Stadt mit den großen Buchstaben am Berg sind, sondern wirklich existieren. Du hattest den schönsten Humor den man haben kann – meinen. Du hattest immer eine gute Flasche Wein im Haus. Da man bei einem Glas Wein einfach die besseren Gespräche führt. Du hast mir sogar Auberginen schmackhaft gemacht. Du hast mich, ganz einfach, mir ein Stück näher gebracht. Ohne es zu wollen. Du wolltest viel mehr ein dauerhaftes Funkeln zu jeder Tages und Nachtzeit in deinem Augen – und nicht nur wenn ich da bin. Du wolltest Freiheit, Spaß und Unabhängigkeit. Aber für welchen Preis.

Denn all das was ich damals sah, sehe ich heute nicht mehr. Heute sehe ich eine Person die nie wirklich richtig lacht, sondern vielmehr halbherzig einen Mundwinkel nach oben zieht. Eine Person die einen Schritt langsamer geht als früher, in der Hoffnung die Zeit würde anhalten und damit auch das Leben. Eine Person die soweit in der Mitte der Gesellschaft steht, das sie kaum noch auffällt. Eine Person die ihr eigener Schatten ist. In seltenen Momenten jedoch flackert in deinen Augen kurz ein Funkeln auf und deine alte Lebensfreude, mit der du jeden Raum in Sekunden eingenommen hast, schwabbt an die Oberfläche. Sie ist der Beweis, dass du die Hoffnung doch noch nicht ganz aufgegeben hast. Die Hoffnung, das irgendwann ein Schatzsucher dein Wrack am Strand findet und das Funkeln zurück in deine Augen bringt.

Denn in jedem Wrack steckt ein Schatz, man muss nur danach suchen. Aber niemals ein zweites Mal.

Weiterlesen

Was am Ende bleibt

„Hast du sonst noch was bei mir?“ Die Kondome die ich extra noch gekauft und bei dir verstaut hatte, erwähne ich nicht. Glück für den Nächsten. „Nein, ich hatte nur das Ladekabel, aber das hab ich schon mitgenommen! Du?“ „Ne, ich glaube nicht.“ Stimmt, du hattest es dir hier nie wirklich gemütlich gemacht. Dafür jedes Mal deine riesen Tasche mitgeschleppt. Jeden Abend hast du deine Sachen ausgepackt und ins Bad getragen, nur um sie am nächsten morgen wieder zusammenzuraffen und zurück in deine Tasche zu werfen. Die T-Shirts die ich dir zum schlafen geliehen habe, hast du jedes Mal in den Wäschekorb geworfen. Fast so als wolltest du einfach nicht das hier irgendetwas von dir ist – auf Dauer.

„Ich würde jetzt gerne gehen.“ „Ich nicht… weil so lange wie wir hier sind, da.. da ist es noch nicht real!“ „Ich weiß, aber ich würde trotzdem gerne gehen!“ „…“ Diese letzte Verabschiedung bedeutete dann nur eins. Leere. Vier weiße Wände. Und ich. Das erdrückende Nichts aus Leere, Hitze und Schweiß das in meinem Zimmer herum wabbt, wie die Stille nach deinem letzten Satz. Der verschwindende Duft der letzten Nacht. Der Blick geht in Richtung dunkler Sternenhimmel. Leere blickt in Leere. Die Hoffnung auf Erkenntnis aus der Dunkelheit des Nichts heraus. Aber wo nichts ist, da kann auch nichts werden. Die Fragen die man stellt, sie verhallen Lichtjahre entfernt zwischen den Lichtern längst erloschener Sterne.

Mittlerweile ist sogar dein Duft – unser Duft – nur noch eine bleiche Erinnerung die irgendwo in meiner Nase verhallte und in Vergessenheit geriet. Ich weiß das es ihn gibt, aber nicht mehr wie er riecht. So wie die Plätze der Stadt langsam deine Farbe verlieren und nur noch hier und da ein blasser Schimmer, der einst so leuchtenden Kunstwerke deiner Seele, zu sehen ist, so verliert auch die Erinnerung an dich langsam immer mehr ihre Konturen und Kontraste. Ein vom Mondlicht ausgeblichenes Polaroid. Immer weniger Bilder und Gedanken erinnern an dich. Den letzte Strohhalm der mich regelmäßig an dich erinnert hat, habe ich heute entsorgt und damit auch die Möglichkeit, dass du über Nacht bleiben kannst.

Komisch dass das Erste und Einzige was du wirklich hier gelassen hast, das Letzte ist was was am Ende bleibt von dir. Deine Zahnbürste. Aber die hatte ich dir ja auch geschenkt.

Weiterlesen