Ertrunken

Das schummerige Licht aus den alten, mit Stoff überzogenen Lampen tauchten das in die Jahre gekommene Holz unter ihnen in einen warmen, verblassenden Gelbton. Die Finger und Handballen unzähliger Menschen hatten ihre Spuren hinterlassen und das ehemals gerade Stück Buchenholz am Rand mit tiefen Furchen überzogen. Der Rauch mehrere Jahrzehnte hing in der Luft und ließ dicke Schwaden langsam durch die praktisch stehende Luft ziehen. Unter dem schwachen Licht der mit Staub bedeckten Lampen saßen vereinzelt Menschen und schwadronierten über Situationen, Schicksalsschläge und andere Menschen.

Sie redeten vor sich hin und merkten nicht das ihnen niemand zuhörte. Es war ihnen aber auch nicht wichtig. Sie wiederholten ihre Geschichten jeden Abend. Für die immer gleichen Zuhörer – sich selbst. Mussten sich selbst reden hören. Immer und immer wieder. Wie ein Mantra. Wie eine Rechtfertigung. Wie eine Kapitulation vor der Situation. Vor der Tatsache nicht nein sagen zu können. Als Angst vor dem Eingeständnis das der Fehler bei ihnen und nicht den anderen lag.

Die Angst brachte sie Abend für Abend an die gleiche Ecke. Anstelle nach Hause zu gehen oder das was mal zuhause war, wurde die Einsamkeit der eigenen vier Wände gegen Anonymität getauscht und Eingeständnisse gegen verklärte Erinnerungen. Träume waren mal auf Bierdeckel gepinselt worden und verblassten im Laufe der Abende mit jedem Glas ein Stück mehr. Bis sie nicht mehr waren und vergessen wurden. Was blieb waren die von Feuchtigkeit aufgequollenen Bierdeckel und einsame rote Nasen unter staubigen Lampen auf der Suche nach längst verblassten Träumen auf den Böden der kalkigen Gläser.

Der Verlust von Familie, Freunden und Leben wurde durch jede neue Runden etwas mehr aufgeweicht und wie der Schaum im Bart irgendwann einfach weggewischt. Sie sahen ihre durch krude Gedanken verklärte Welt auf eine ganz eigene Art als normal an. Wärme kam nicht länger durch andere Menschen sondern durch das Brennen im Magen und der Verlust von Leben manifestierte sich in den gläsernen Zeptern die sie bis spät in die Nacht fest in der Hand hielten.

Die Angst vor dem Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit hatten dazu geführt, dass sie ihre Träume und ihr Leben schon vor langer Zeit ertränkt hatten. Nur hatte sie der Tod in ihrer Einsamkeit einfach übersehen.

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Drei

Den schwarzen Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen. Nicht nur wegen des Regens, sondern auch damit niemand sein Gesicht sehen konnte – zwischen den kleinen heckenhohen Steinen die seinen Weg säumten. Er ging meistens im Regen hier her. Die Wahrscheinlichkeit alleine zu sein war größer wenn selbst das Wetter so trostlos war wie seine Gedanken. In seinen Händen hatte er immer die gleichen Dinge. Eine Kerze und einen Plastikumschlag. In diesem Umschlag war ein kleiner Notizzettel verpackt, auf dem er Wünsche und Träume niederschrieb um diese in den kleinen Rhododendron auf dem 3,5m² Beet zu hängen. Seine Medizin für sie. Sollte sie sie jemals nochmal brauchen.

Vermutlich aber schrieb er diese kleinen Zettel mittlerweile mehr für sich als für sie. Diese Heilungswunder aus drei bis sechs Wörtern. Jeder einzelne ein Eiland der Rettung. Erst hatte er sie nur zu Hause in eine Kiste gesteckt. Wollte sie ihr irgendwann als Wunschkiste schenken. Aber der kalte Winter vorletztes Jahr hatte ihm einen Strich durch seine Rechnung gemacht. Hatte ihre Reifen blockieren und sie daraufhin gehen lassen. Hatte seinen Boden durchlöchert und ihn dazu gezwungen von Insel zu Insel zu springen.

Kurz nachdem sie gegangen war, waren die Sprünge praktisch nicht zu bewältigen. Meist hatte er sich von den Wellen der Depression mitreißen und dahin treiben lassen. Hatte nirgendwo ankommen, sondern einfach nur leblos rumliegen und vegetieren wollen. Sein Leben durch maximale Entschleunigung maximal zu beschleunigen, um sie so schneller wiederzusehen. Nur selten drangen positiven Gedanken durch und schafften es, dass er zumindest ein paar Worte zu Papier brachte. Sie wurden für ihn wie ein Apothekerrezept. Immer wenn er eins ausstellte, wusste er er würde seine Medikamente brauchen. Jene Medikamente die nur sie hatte herstellen können.

Mittlerweile waren Jahre ins Land gezogen. Jahre in denen er seine Wunden probierte hatte vernarben zu lassen. Aber er konnte nicht. Immer wieder ertappte er sich dabei wie er den Schorf, der mühsam die klaffenden Risse überzog, versuchte abzukratzen. Wie der Fluss erst langsam und dann immer schneller aus ihm heraus pulsierte. Wie er merkte das ihm immer wieder schwindelig wurde. Wie er drohte umzufallen. Sich hinsetzen und nach Luft schnappen musste -weil er das Gefühl hatte sonst zu sterben. Seine Medikamente hatte er immer griffbereit. Konnte sich noch nicht davon trennen. Immer wenn er es wollte kamen die Attacken.

Es waren die Momente in denen er die Tür hinter sich zu warf. Ein Geruch seine Nase streifte. Er das rhythmische Prasseln des Regens wahrnahm. Die kleinen Situationen. Das Alltägliche. Die Situationen die nur zu zweit eine solche Bedeutung bekommen, das sie über eine Anekdote hinausgehen. Die Erinnerungen die mit der Wucht eines 40 Tonners durch den Kopf hämmern und auf dem Weg zur Kur den Wagen von der Straße fegen. Die kleinen Neutronensterne besiedeln und ihre Religion der Depression in jede Region des Gehirn tragen. Die Erinnerungen die Medikamente gegen die Wunden erforderten. Die Wunden die dann wieder aufplatzen. Die Medikamente die er noch nicht absetzten kann.

Sein Ketamin. Ihre Bilder. Sein Pflaster. Ihre Briefe. Sein Aspirin. Ihre Musik.

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[Interview] Captain Capa 2015

Hey Jungs. Cool das ihr euch nochmals bereit erklärt habt uns ein paar Takte zu erzählen.

Foxes ist jetzt zwei Jahre her. Seitdem hat sich viel getan. Einer ist gegangen. Zwei sind gekommen. Ihr konntet in Japan zum konzerten unterwegs sein und vermutlich ist drumherum noch mehr passiert was wir so gar nicht alles mitbekommen haben.

Zu allererst natürlich die Frage: Wie geht es euch? Alle gesund und ausgeschlafen?

Uns geht es derzeit blendend. Unsere erste Tour als dreiköpfige Band hat irre Spaß gemacht und jetzt freuen wir uns auf die nächste Konzert-Rutsche im Oktober. Ausgeschlafen sind wir relativ selten, gerade sitzen wir z.B. gerne lange in unseren Homestudios und frickeln an neuen Songs, da kommt man frühs dann etwas schwerer in die Gänge.

Ashi du schreibst auf eurem Blog, dass du/ihr bei den Aufnahmen zur neuen EP seit langem wieder einfach Spaß am musizieren hattet und die Aufnahmen für Foxes (damals gewollt) doch sehr anstrengend waren. Hattest du nach dem Abschied von Maik kurzzeitig mal das Gefühl evtl aufzuhören? Oder war von Anfang an klar: Es wird schon irgendwie weitergehen?

In der Meldung war vielleicht ein bisschen viel Pathos drin, haha. Die Arbeit am Foxes Album war jetzt nicht der schlimme, zermürbende Studio-Horror, aber da war schon eine Menge Druck im Spiel und viele Erwartungen, die wir uns selber gesteckt haben. Plötzlich stand nicht mehr nur der Spaß im Vordergrund, sondern eben der Song, oder die Kunst, wenn man so möchte. Das kannten wir halt vorher noch nicht. Klar musste ich nach Maiks Entscheidung erst mal überlegen, ob es überhaupt cool ist, wenn man als einziges Überbleibsel eines Duos weiter macht. Aber wir sind relativ schnell gemeinsam drauf gekommen, dass das Projekt Captain Capa jetzt nicht beerdigt werden muss, weil einer nicht mehr am Start sein kann. Marco und Mario ins Boot zu holen, war demzufolge der beste Weg, auch, weil die beiden dick mit Maik befreundet sind und deswegen das Grundgefühl bleibt, dass man Musik mit Freunden macht und mit seinen Kumpels auf Tour fährt.

Mit die wichtigste Nachricht von euch war sicherlich der Abschied von Maik und das hinzustoßen von Marco und Mario. Nachdem ihr Maiks Abschied auf eurem Blog (LINK zum Beitrag) sehr gut beschrieben habt, möchte ich auf die Gründe dafür gar nicht näher eingehen, sondern vielmehr die beiden „Neuen“ bitten sich kurz vorzustellen.

Da die beiden gerade nicht hier sein können, muss ich den Job kurz übernehmen. Mario ist ein langjähriger Freund von mir, der die Band als Merchandise-Boy und mentale Stütze schon seit Jahren begleitet. Wir kommen aus der gleichen Suppe an Kleinstadtbands und Freundeskreisen und haben einen sehr ähnlichen Musikgeschmack. Es lag quasi auf der Hand, ihn fix in die Band zu holen. Mit Marco war es ähnlich, den habe ich 2010 als Gitarristen von Supershirt kennen gelernt – und die waren für uns immer sowas wie große Brüder im Musikbusiness, haha. Wir wollten sowieso schon immer mal was zusammen machen und irgendwie zusammen arbeiten, weshalb er sofort JA! Geschrien hat, als ich ihn angerufen hab.

Hat sich durch das hinzukommen von zwei neuen und dadurch, dass ihr nun einer mehr seid, im musikalischen Entstehungsprozess etwas geändert? Ihr habt ja geschrieben, das sich technisch durchaus was verändert hat? Habt ihr mittlerweile das von mir im letzten Interview so falsche DJ Pult mit aufgenommen oder sind es weiterhin Gitarre, Synthesizer und Midi-Keyboards?

Beim Songwriting hat sich auf jeden Fall einiges geändert. Früher war es so, dass ich hauptsächlich erst mal alleine an einer Songidee geschraubt habt, bis das Grundgerüst stand. Maik ist dann später im Prozess dazu gestoßen und hat seine Parts beigesteuert. Inzwischen ist das ein bisschen breiter gefächert. Wir arbeiten alle separat ständig an eigenen Ideen und gehen dann gemeinsam an die Sachen, die wir alle gut finden. Auf der Bühne gibt es auch ein paar neue Spielzeuge, und weil Mario sich in seinem Cockpit aus Synthies und Controllern um den reibungslosen Ablauf des Livesets kümmert, können Marco und ich vorne ein bisschen mehr Gas geben und ausgelassen performen. Fühlt sich ein bisschen mehr nach Liveband an.

Captain Capa (Leipzig / Bad Frankenhausen) Foto: Martin Ludewig / www.tonipropeller.de
Captain Capa (Leipzig / Bad Frankenhausen) Foto: Martin Ludewig / www.tonipropeller.de

Jetzt also das erste Lebenszeichen in neuer Formation. „Death of a Hydra“. Die hat mich ehrlich gesagt von der ersten Note an total geflashed. Ich bin total begeistert. Hat der Name einen tieferen Sinn? ich hab schon ein wenig gegrübelt, bin aber nicht so recht auf eine Idee gekommen.

Vielen Dank erst mal, das freut uns! Die einfachste Erklärung ist natürlich die, dass einer Hydra zwei Köpfe nachwachsen, wenn man ihr einen abschlägt. Das hat so gut zu unserer Situation gepasst, dass wir daraus irgendwas machen mussten. Erst fanden wir es nur ganz schön lustig, aber desto mehr wir uns mit dem Mythos der Hydra beschäftigt haben, desto spannender und passender wurde der Begriff. „Death of a Hydra“ fanden wir so gut, weil ich finde, dass Songs schreiben, auf Tour gehen und so ein bisschen Seelenstriptease immer auch eine selbstzerstörerische Note hat.

Die Lieder auf der EP sind, wie ihr selbst ja auch sagt, doch sehr divers von den Melodien her. Während „Vipera“ als Single in meinen Augen durchaus etwas emolastiger und der letzte Song der EP „42 Summers“ rockiger daherkommt, ist „Haruka“ als Intro für mich der Brückenschlag in Richtung Foxes. Wollt ihr diese Diversität beibehalten (was ich sehr begrüßen würde) oder wollt ihr doch eher in eine Richtung weiter gehen? Oder habt ihr das noch gar nicht besprochen und wollt einfach weiter Musik machen und schauen was passiert?

Das ist so eine Frage, die wir uns natürlich auch stellen. Grundsätzlich wurde Captain Capa schon immer von so vielen verschiedenen Einflüssen geprägt, dass wir uns nie auf irgendeinen Stil festnageln konnten. Auf unseren Alben haben sich ja Zuckerpop und Screamo-Riffs die Hand gegeben. Das fällt bei drei einzelnen Tracks natürlich noch wesentlich deutlicher auf, besonders wenn durch neue Bandmitglieder noch mal neue Einflüsse ins Songwriting strömen. Aber für den Moment wollten wir genau das einfach genießen und so ein bisschen sagen: „Jetzt erst recht!“ Wir haben uns aus einer handvoll Songbaustellen einfach für unsere drei Lieblingstracks entschieden, da war uns ganz egal, ob die sich irgendwie einen Stil teilen. Ich finde, sie haben trotzdem alle eine unverkennbare Captain Capa Note. Wie sich das jetzt auf unseren zukünftigen Output auswirkt, wird sich zeigen, aber wir bleiben auf jeden Fall offen für alles.

Daran anschließend: So eine EP ist ja meist auch der Vorbote zu einem neuen Album. Könnt ihr da schon was verraten? Konkretere Pläne? Releasedatum? Oder ist alles noch offen?

Gerade haben wir erst mal jede Menge Spaß daran, Songs zu schreiben und uns auszuprobieren, ohne, dass da ein Album-Konzept dahintersteht. Wir haben deswegen noch keine LP geplant, können uns aber durchaus vorstellen, so einen Mammut noch mal anzupacken.

Wie wurden denn, um an die aktuell gerade abgelaufene Tour zur EP anzuknüpfen, die neuen Songs und die neue Konstellation der Band live angenommen?

Soweit ich das beurteilen kann, sehr gut! Die Stimmung auf den Konzerten war fantastisch und die Reaktionen sind durchweg positiv. Natürlich vermissen einige ihren Maik und den putzigen Duo-Faktor, aber wenn die Leute sehen, dass die Chemie bei uns dreien eben auch stimmt und die Konzerte einen Hauch mehr Rock’n’Roll bekommen, sind am Ende alle happy. 

Wo wir gerade bei Tour sind, wie kam es denn eigentlich genau dazu, dass ihr in Japan konzerten konntet? War das die Erfüllung des Traumes von euch, einen #1 Hit dort zu landen? Oder habt ihr einfach gedacht Fuck it, let’s do this? Und hat die Stadt, das Konzert dort evtl. auch einen Einfluss auf die musikalische Entwicklung gehabt? So verrückt wie sie mir immer beschrieben wird.

Tokyo war auf jeden Fall eines der krassesten Erlebnisse unserer Bandgeschichte, und auch, wenn wir nur für zwei Nächte total kaputt rüber gejettet sind, hatte das Wochenende einen riesigen Einfluss auf uns als Personen und als Band, einfach weil es so verrückt und inspirierend und augen-öffnend war. Wir waren halt schon immer total vernarrt in japanische Popkultur und wurden dann direkt in den Schmelztiegel geworfen, wo der ganze Kram herkommt. Dass wir dort spielen konnten, war tatsächlich eher ein glücklicher Zufall, der uns in den Schoß gefallen ist und auf den wir zum Glück spontan reagieren konnten.

Zu guter Letzt: Gibt es etwas das ihr unbedingt noch loswerden wollt? Etwas was wir vergessen haben zu Fragen?

Nicht wirklich, aber wir freuen uns natürlich auf jeden, der uns im Oktober auf Tour besucht! Hier noch die Daten:

06.10.2015 Rostock (DE) Campustag
16.10.2015 Dresden (DE) Scheune
17.10.2015 Halle (DE) Drushba
18.10.2015 Wien (AT) B72
19.10.2015 Innsbruck (AT) Weekender
30.10.2015 Erlangen (DE) E-Werk
31.10.2015 Reutlingen (DE) Franz K
06.11.2015 Frankfurt (DE) Elfer
07.11.2015 Augsburg (DE) Soho

Dann wünschen wir euch alles Gute auf den Festivals und Konzerten dieses Jahr die ihr noch spielen werdet und freuen uns wie Bolle auf ein hoffentlich baldiges Erscheinen des neuen Albums.

Herzlichen Dank für das Interview.

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Märzchen, du

Der kalte Winter war überwunden und in der leichten Wärme des Frühlings erwachten die Straßen der Stadt aus ihrem Winterschlaf. Die profitorientiertesten der lokalen Barbesitzer schoben die letzten Schneeflocken von den Gehwegen und stellten Tische und Stühle unter Sonnenschirme. Eine für den März doch leicht seltsam anmutende Tätigkeit. Aber der März ist eh ein seltsamer Monat – einer den man sich eigentlich schenken kann. Nicht mehr richtig im Winter angesiedelt, aber wegen des Aprils auch noch nicht im Frühling verortet. Ein „kann-aber-muss-nicht“ Ungetüm.

Trotz dieser Sonne hatte er den Kragen seines Mantels hochgestellt. So ganz vertraute er der wiedergewonnen Wärme dann doch nicht. Zu schnell konnte sich das Wetter in diesem Monat noch ändern. Im Slalom durch die Barbesitzer navigierend versuchte er leicht genervt, vom plötzlichen Trubel in der Stadt, seine Einkäufe vom Markt sicher nach Hause zu transportieren. Eier. Milch. Blaubeeren. Alles frisch. Wie damals. Sie hatte Pfannkuchen mit Blaubeeren geliebt. Am besten Sonntags im Bett mit einem starken Kaffee. Den Kaffee trank er mittlerweile alleine und auch die Pfannkuchenzutaten kaufte er eher wegen Pavlov und nicht aus Appetit.

Irgendwie hatte er es dann doch durch den Irrgarten von Stühlen, Tischen und Barbesitzern nach Hause geschafft und schaltete aus Reflex den Herd an, während er die Einkäufe im Kühlschrank verstaute. Gedankenverloren holte er die Waage aus dem Schrank. Wog das Mehl, schlug die Eier auf, rief wie gewohnt : mit oder ohne Zucker? und kam wieder in der Wirklichkeit an. Da war niemand mehr der hätte antworten können. Nur die leeren Wände, an denen einst Bilder gehangen hatten, welche ein Echo zurückwarfen das perfekt seine Gefühlslage spiegelte. Schlecht. Die 70qm waren trotz der Möbel praktisch leer. Übrig geblieben waren drei Zimmer, ein Balkon und ein Induktionsherd. Für einen alleine eigentlich zu viel. Für sie beide war es genau richtig gewesen.

Es hatte so gut begonnen. Seit langem endlich mal wieder jemand der mehr war als ein zungenverknotendes Geknutsche im Raucherraum der lokalen Disko oder ein vernebelter Fick nach einer Studentenparty. Schusseligkeit gepaart mit Intelligenz und einem Schönheitsideal der 70er Jahre. Mit der modernen Gesellschaft nicht ganz kompatibel aber für ihn perfekt. Sie war so etwas wie sein verlorener Zwilling gewesen. Seine Nanni. Sein Trick und Track. Seine Sandra. Er war mehr zufällig über sie gestolpert, als er im Park probiert hatte die Herbstsonne mit seiner Kamera einzufangen. So hatte er mit einer kaputten Kamera, aber einem super Gesprächseinstieg bis tief in die Nacht hinein auf ihrer Decke gesessen und über Wünsche, Hoffnungen und die aktuelle Staffel Community geredet.

Die darauffolgenden Gespräche wurden länger, intensiver und regelmäßiger. Aus Stunden wurden Tage. Aus Tagen wurden Monate und ein Jahr später war sie Dauergast in seiner Wohnung. Drei Zimmer. Balkon. Induktionsherd. Sie hatte mittlerweile dort ein wenig umgeräumt, hier ein wenig dekoriert und sein Leben vollkommen umgestellt. Hatte über ihre, über seine, über die gemeinsame Zukunft geredet. Hatte ausgemalt und in die Luft geschrieben. Hatte geschwärmt und Hoffnungen gemacht. Um dann einfach zu gehen, als sie keine Worte mehr fand. Als alles gedacht, geschwärmt und gesagt war. Ein Grund hatte sie ihm nie gegeben. Nur zwei Tragetaschen mit ihren Habseligkeiten mitgenommen und ihn zurück gelassen. Gefangen zwischen dem verrückten Nachbarn und einem kaputten Kühlschrank.

Sie war genauso wie der März nach einem kalten Winter. Zu viel um eine beste Freundin zu sein, aber zu wenig für eine dauerhafte Beziehung. Eine kann aber muss nicht Person. Ein Märzchen.

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Staub(ge)schichten

Mit dem ihm so vertrauten Klack schnappte das Schloss einmal zurück und ließ die Tür sanft aus dem Rahmen springen. Er atmete tief durch. Langsam, nur mit dem Zeigefinger drückte er die ausgeblichene, ehemals weiße und mit einem Vorhang verhangene Tür auf. Knarzend gab sie den Blick auf den dunklen Flur frei den er seit gut vier Wochen nicht mehr betreten hatte. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Die Tapete. Die Garderobe. Der Brandfleck im Parkett von den Wunderkerzen an Silvester. Alles war noch da wo es sein sollte. Relikte einer Zeit die so nicht mehr war. Nicht mehr sein würde. Einen tiefen Atemzug später stand er in der Wohnung. Zitternd. Die Hand immernoch an der äußeren Türklinke, zog er diese mit einem leichten Ruck nach hinten und machte den ihm so vertrauten Ausfallschritt nach Links, um dem Gewicht aus Holz und Glas aus dem Weg zu gehen. In pavlovscher Manier öffnete er im selben Moment den Mund, um die gleichen Worte wie immer an den dünnen Wänden in schlechten Echos und einem zu lauten Fernseher untergehen zu lassen – aber es blieb Still. Er bekam keinen Ton heraus. Da waren keine Echos und kein Fernseher. Nur sein kurzer, schneller Atem und die krachend hinter ihm ins Schloss fallende Tür.

Der Stillstand von vier Wochen war nur allzu deutlich wahrzunehmen. Niemand hatte gelüftet. Niemand hatte geputzt. Alles roch noch so wie er es verlassen hatte. Mit dem Finger über die kleine Kommode gegenüber der Garderobe fahrend, wirbelte er kleine Staubwolken auf die sich in ihrem Duft verloren und unbemerkt zu Boden gingen. Seine Gedanken verloren sich in diesem Eiland der Vergangenheit. Eines Abends hatte sie angefangen zu reden. Über ihre Vergangenheit. Ihre Geschichte. Hatte versucht ihn zu erklären warum sie in letzter Zeit so unnahbar gewesen war. Warum sie lieber nachts alleine durch die Stadt gelaufen war, anstatt mit ihm im Bett, auf dem Sofa oder dem Boden zu liegen. Hatte Skylar Grey zitiert und gesagt, dass sie gehofft hatte das es besser werden würde, weil es immer kurz vor der Dämmerung am Dunkelsten ist. Aber das die Dunkelheit immer stärker wurde und sie nicht glaube das die Dämmerung noch einmal kommen würde. Hatte Metapher um Metapher hervorgeholt um die Wahrheit noch nicht aussprechen zu müssen. Erzählte von den Jahren zuvor. Ihrer Harmonie. Ihrer Chemie. Ihrem grenzenloses Vertrauen. Ständig wiederholte sie was sie gehabt hatten. Nicht einmal bekam sie den Bogen in die Zukunft. Irgendwo im Labyrinth ihrer Wünsche und der Zeit hatte sie sich verlaufen.

Er nickte. Ohne wirklich darüber nachgedacht zu haben, führten seine Muskeln die seit Jahrtausenden für Zustimmung bekannten Bewegungen aus. Den Kopf erst heben und dann wieder senken. Heben. Senken. Heben. Senken. Er führte die Bewegung aus wie ein Wackeldackel. Beeinflusst durch seine Umwelt – ohne zu wissen warum. Zuhören konnte er nicht mehr. Sein Kopf hatte auf Leerlauf geschaltet. Auf Sahara und Antarktis zugleich. Er wollte ihr auf seinen Schultern den Ausgang aus dem Labyrinth zeigen, wusste aber dass auch das nicht würde helfen können, da ihr Kompass schon lange keine Nadel mehr besaß. So saß er stumm auf dem Sofa und nickte. Hörte ihr zu wie sie ihre wichtigsten Sachen zusammen packte und nickte. Hörte ihr zu wie sie sagte das sie nun erstmal zu einer Freundin ziehen würde und nickte. Hörte ihr zu wie sie die Tür hinter sich zu warf und nickte. Blieb noch lange einfach so auf dem Sofa sitzen, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Er saß einfach nur da und nickte. Völlig abgeschottet von der Welt.

Die Bilder verschwammen vor seinem geistigen Auge und ließen ihn auf den schwarzen leblosen Fernseher vor ihm blicken. Unbewusst war er zurück ins Wohzimmer gegangen. Vorbei an der Schrankwand. Vorbei an der Küche. Vorbei an dem quietschenden Sofa. Bis hin zum Fernseher in der Ecke. Eine dünne Staubschicht hatte sich auf dem Bildschirm gebildet, so dass das Bild darunter schlechter zu erkennen sein würde. Eigentlich wollte er nur seine DVDs holen. Stattdessen setzte er sich wieder aufs Sofa und starrte ins Nichts. Versuchte hier im Epizentrum den Grund für das Beben zu finden. Analyse um Analyse jedes vorgefallenen Streits führte er durch, aber nichts konnte ihre Handlung auch nur Ansatzweise erklären. Nichts konnte ihm sagen warum sie gegangen war, warum auch mehr Leuchtfeuer für den Weg zurück als es Strassenlatern in New York gab, keinen Sinn haben würden. Nichts konnte ihm erklären warum manche Gefühle einfach nicht mehr da sind. Genauso wenig wie er sich erklären konnte, warum seine damals da gewesen waren.

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So lange du mich lässt

Es war ja nicht so als wären da keine Aussprüche gewesen die mit müssen, können oder würden geendet hatten. Das Wissen war da. Aber die Praxis nicht. Außer die von deinen Eltern – In der du arbeiten wolltest seitdem dein Vater Fiffi gerettet hatte. Die kleine graue Katze die nur noch ganz kurz durch mein Leben getapst war. Veterinärmedizin. Ein Wort wie ein drei Meter Kantholz im Rachen. Dafür hatte ich hatte dich von Anfang an bewundert. Nicht deine Tierliebe. Nicht deinen Zoo. Sondern deine Art die Dinge anzugehen. Deinen Willen und deine Zielstrebigkeit. Du wusstest mit zehn bereits klar was du wolltest im Leben. Knapp achtzehn Jahre später weiß ich nicht mal was ich später essen würde.

Nicht dass das von Relevanz wäre was ich nachher esse. Irgendetwas simples werde ich schon finden. Etwas simpleres als das was wir immer gegessen haben. Vegan und Fleischliebe. Da ist kochen nicht simpel – sondern eher Endgegnerstyle. Wie die Regenbogenstrecke bei Mario Kart oder Flappybird. Dennoch hatten wir es versucht. Ich hatte mich mit Tofu arrangiert und du mit dem Steak in deiner Pfanne. Gut, es war meine Pfanne in deiner Wohnung, aber was zählte war der Gedanke. Doch manchmal reicht der Gedanke einfach nicht. Insbesondere dann, wenn Bewunderung auf Akzeptanz trifft.

Eine Akzeptanz die durch, im Nachhinein flüchtig gesprochene, Liebesbekundungen und Abschiedsküsse eine gewisse Zeit Begeisterung vorspielen, aber nicht darüber hinweg täuschen, kann, dass du die Zeit mit mir doch lieber mit deinem Pferd verbracht hättest. Ich wollte mit dir in den Urlaub fahren. Ein mal rund durch Europa. Du bist lieber einmal rund durch die Reithalle voltigiert. Erst zweimal die Woche. Dann vier Mal. Dann fünf Mal und zum Schluss drölf Mal. Deine Nachrichten wurden weniger und wenn mal was kam, dann war es ein Bild von deinem Pferd. Oder deiner zweiten Katze. Oder deinem Wellensittich. Oder von dir mit allen dreien zusammen. Bremer Stadtmusikanten hast du dann drunter geschrieben. Ich hab irgendwann nichts mehr geschrieben.

Jetzt, Jahre später habe ich das immer noch alles genau im Kopf. Deinen Gaul. Die zweite Katze und den verdammten Wellensittich, der mich immer unterbrochen hat wenn ich was wichtiges sagen wollte. Ich hab mich nie mit deinem Zoo anfreunden können und du nie mit meiner Einstellung. Trotzdem halte ich mich immer noch an dir fest. An deiner Unumstößlichkeit und deinem Eifer. Nicht das du die Praxis deiner Eltern übernommen hättest, du hast dein Glück wo anders gefunden. Facebook könnte mir sagen wo und Instagram wie, aber ich lese lieber deine alten Briefe und Nachrichten. Über Fleiß. Über Mut. Über die Simplizität Berge zu versetzten.

So erhalte ich dich und mich. Für mich. So lange ich mich lasse.

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