Drei

Den schwarzen Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen. Nicht nur wegen des Regens, sondern auch damit niemand sein Gesicht sehen konnte – zwischen den kleinen heckenhohen Steinen die seinen Weg säumten. Er ging meistens im Regen hier her. Die Wahrscheinlichkeit alleine zu sein war größer wenn selbst das Wetter so trostlos war wie seine Gedanken. In seinen Händen hatte er immer die gleichen Dinge. Eine Kerze und einen Plastikumschlag. In diesem Umschlag war ein kleiner Notizzettel verpackt, auf dem er Wünsche und Träume niederschrieb um diese in den kleinen Rhododendron auf dem 3,5m² Beet zu hängen. Seine Medizin für sie. Sollte sie sie jemals nochmal brauchen.

Vermutlich aber schrieb er diese kleinen Zettel mittlerweile mehr für sich als für sie. Diese Heilungswunder aus drei bis sechs Wörtern. Jeder einzelne ein Eiland der Rettung. Erst hatte er sie nur zu Hause in eine Kiste gesteckt. Wollte sie ihr irgendwann als Wunschkiste schenken. Aber der kalte Winter vorletztes Jahr hatte ihm einen Strich durch seine Rechnung gemacht. Hatte ihre Reifen blockieren und sie daraufhin gehen lassen. Hatte seinen Boden durchlöchert und ihn dazu gezwungen von Insel zu Insel zu springen.

Kurz nachdem sie gegangen war, waren die Sprünge praktisch nicht zu bewältigen. Meist hatte er sich von den Wellen der Depression mitreißen und dahin treiben lassen. Hatte nirgendwo ankommen, sondern einfach nur leblos rumliegen und vegetieren wollen. Sein Leben durch maximale Entschleunigung maximal zu beschleunigen, um sie so schneller wiederzusehen. Nur selten drangen positiven Gedanken durch und schafften es, dass er zumindest ein paar Worte zu Papier brachte. Sie wurden für ihn wie ein Apothekerrezept. Immer wenn er eins ausstellte, wusste er er würde seine Medikamente brauchen. Jene Medikamente die nur sie hatte herstellen können.

Mittlerweile waren Jahre ins Land gezogen. Jahre in denen er seine Wunden probierte hatte vernarben zu lassen. Aber er konnte nicht. Immer wieder ertappte er sich dabei wie er den Schorf, der mühsam die klaffenden Risse überzog, versuchte abzukratzen. Wie der Fluss erst langsam und dann immer schneller aus ihm heraus pulsierte. Wie er merkte das ihm immer wieder schwindelig wurde. Wie er drohte umzufallen. Sich hinsetzen und nach Luft schnappen musste -weil er das Gefühl hatte sonst zu sterben. Seine Medikamente hatte er immer griffbereit. Konnte sich noch nicht davon trennen. Immer wenn er es wollte kamen die Attacken.

Es waren die Momente in denen er die Tür hinter sich zu warf. Ein Geruch seine Nase streifte. Er das rhythmische Prasseln des Regens wahrnahm. Die kleinen Situationen. Das Alltägliche. Die Situationen die nur zu zweit eine solche Bedeutung bekommen, das sie über eine Anekdote hinausgehen. Die Erinnerungen die mit der Wucht eines 40 Tonners durch den Kopf hämmern und auf dem Weg zur Kur den Wagen von der Straße fegen. Die kleinen Neutronensterne besiedeln und ihre Religion der Depression in jede Region des Gehirn tragen. Die Erinnerungen die Medikamente gegen die Wunden erforderten. Die Wunden die dann wieder aufplatzen. Die Medikamente die er noch nicht absetzten kann.

Sein Ketamin. Ihre Bilder. Sein Pflaster. Ihre Briefe. Sein Aspirin. Ihre Musik.

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